Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)
bedeutete, dass der Knoten fast mit Sicherheit bösartig war. Wie sich herausstellte, handelte es sich tatsächlich um Krebs, der sich bereits in einige Lymphknoten ausgebreitet hatte. Ich hatte Angst um meine Frau und machte mir Sorgen darüber, ob ich unsere zehn Jahre alte Tochter alleine großziehen konnte. Meine Frau wurde operiert, mit Chemotherapie behandelt und bestrahlt. Zum Glück geht es ihr gut.
Ein Mammografie-Screening ist etwas anderes. Diese »mammografische Früherkennung« ist ein Test für Frauen, die keinen Grund zur Annahme haben, dass etwas nicht in Ordnung ist. Lassen Sie mich klarstellen: Im Folgenden geht es um dieses Mammografie-Screening, nicht um die diagnostische Mammografie.
Es gibt keine andere Krebsart, bei der die Früherkennung genauer unter die Lupe genommen wurde, als der Brustkrebs. Angeblich haben sich Wissenschaftler mit der Mammografie gründlicher befasst als mit allen anderen Vorsorgeuntersuchungen. Bisher sind dazu zehn randomisierte Studien veröffentlicht worden, jede mit einer etwa zehnjährigen Verlaufsuntersuchung. Und an diesen Studien haben sich erstaunlich viele Frauen beteiligt. Mehr als 600 000 wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt.
Es gibt auch keine andere Krebsart, über die derart heftig gestritten wird. Die Mammografie ist seit Jahrzehnten ein heiß diskutiertes Thema, aber mehrere meiner Forscherkollegen sind vom Niveau der Diskussion so entmutigt, dass sie sich nicht mehr daran beteiligen. Die Mammografie ist mit Sicherheit ein Minenfeld innerhalb der Vorsorgeprogramme.
Dass eine derart hitzige Debatte einer so intensiven wissenschaftlichen Forschung gegenübersteht, sollte uns etwas sagen: Zwischen den Vor- und Nachteilen der Mammografie besteht ein fragiles Gleichgewicht. Verschiedene Frauen in genau der gleichen Situation (das heißt im gleichen Alter und mit den gleichen Risikofaktoren für Brustkrebs) können mit guten Gründen unterschiedliche Entscheidungen treffen, was die Mammografie anbelangt. Es ist eine schwierige Entscheidung. Und einer der Gründe dafür sind Überdiagnosen.
Die endlose Debatte
Die erste randomisierte Studie über die Mammografie (und die einzige, die jemals in den Vereinigten Staaten durchgeführt wurde) begann 1963 unter der Leitung des Health Insurance Plan of Greater New York (HIP) in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Krebsinstitut (NCI). Heute ist sie als HIP-Studie bekannt. Etwa 62 000 Frauen wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Die Interventionsgruppe unterzog sich einmal im Jahr einer Mammografie und einer klinischen Brustuntersuchung (meist von einem Chirurgen vorgenommen). Die Kontrollgruppe wurde nicht untersucht und wusste nicht einmal, dass sie an einer Studie teilnahm, bei der es um Brustkrebsfrüherkennung ging. Aufgrund dieses Konzepts konnte die HIP-Studie leider nicht feststellen, welchen Nutzen die Mammografie alleine hatte; stattdessen untersuchte sie, welche Auswirkungen drei Maßnahmen zusammen hatten: die Mammografie, die klinische Brustuntersuchung und die Aufklärung der Frauen über die Notwendigkeit, Brustkrebs frühzeitig zu behandeln (das Letztere war in den sechziger Jahren möglicherweise ein sehr wichtiger Teil der Strategie). Nach einer zehnjährigen Anschlussstudie stellte man fest, dass die Brustkrebssterblichkeit bei den Frauen in der Interventionsgruppe, die fünfzig Jahre alt oder älter waren, um 30 Prozent niedriger war. Bei Frauen in den Vierzigern sank die Sterblichkeit nicht.
Gestützt auf die HIP-Studie starteten das Nationale Krebsinstitut und die Amerikanische Krebsgesellschaft im Jahr 1973 ein landesweites Mammografieprogramm. Obwohl ein Nutzen für jüngere Frauen nicht bewiesen war, wurden alle Frauen im Alter von fünfunddreißig Jahren und darüber zur Teilnahme aufgefordert. Bald gab es indessen Bedenken wegen der Strahlenbelastung – nicht nur, weil die Brust bekanntermaßen empfindlich auf Strahlung reagiert, sondern auch, weil die Strahlendosis bei der Mammografie damals deutlich höher war als heute. Das galt vor allem für junge Frauen, denen mehr Mammografien bevorstanden als den älteren, sodass sie auch der höchsten kumulativen Strahlendosis ausgesetzt sein würden. Als Reaktion auf diesen Einwand schlossen das NCI und die Amerikanische Krebsgesellschaft im Jahr 1976 Frauen unter fünfzig von dem Programm aus. 1
Im Jahr 1988 revidierten beide Organisationen ihre Entscheidung und empfahlen nun allen Frauen in den Vierzigern, sich einer Mammografie
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