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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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Allerdings hing jeder einzelne Snip (in den Worten der Autoren) »nur moderat mit Prostatakrebs zusammen«. Das heißt, jede einzelne Genvariante war schwach penetrant. Darum beschlossen die Forscher, die kumulative Wirkung mehrerer Snips zu untersuchen. Das Ergebnis war ein offenbar starker Zusammenhang: Männer, die vier oder alle fünf dieser Snips besitzen, bekommen 4,5 Mal häufiger Prostatakrebs. Die Wissenschaftler waren begeistert und verkündeten in ihrer Presseerklärung: »Zum ersten Mal eröffnet eine Studie dieser Art die Chance, einen klinisch brauchbaren Gentest zu entwickeln.« Außerdem beschlossen sie, eine Firma zu gründen und den Test zu vermarkten.
    Aber die potenziellen Kunden sollten das Wort brauchbar in diesem Fall mit einer gesunden Portion Skepsis betrachten. Es könnte bedeuten, dass der Test durchführbar ist. Es könnte auch bedeuten, dass der Test sich lohnt. Und natürlich sind wir daran interessiert, ob die letztere Behauptung stimmt, selbst wenn die Forscher etwas anderes gemeint haben. 16
    Nehmen wir also an, Sie besitzen den ungünstigen Snip-Strichcode, also vier oder alle fünf Snips. Ihr Arzt sagt Ihnen, Ihr Prostatakrebsrisiko sei 4,5 Mal höher. Höher als was? Wie sich herausstellt, bestand die Vergleichsgruppe in dieser Studie aus Männern ohne einen dieser Snips. Aber Snips sind weitverbreitet, und die meisten Menschen besitzen sie. Ein Mann, der keinen einzigen dieser fünf Snips aufweist, ist eine Seltenheit. Unter den Männern, die an der Studie teilnahmen, gehörten nur 10 Prozent in diese Kategorie. Wenn Sie Ihr Risiko genau einschätzen wollen, sollten Sie sich mit einem Durchschnittsmann vergleichen, der zwei Snips besitzt.
    Tabelle 9.1 zeigt, dass die Vergleichsgruppe, die man wählt, um das Risiko zu berechnen, eine große Rolle spielt.
    Tabelle 9.1 Verschiedene Vergleichsgruppen und das Prostatakrebsrisiko
Zahl der Snips
Prostatakrebsrisiko
    im Vergleich zu Männern
    mit dem geringsten Risiko
    (0 Snips)
Prostatakrebsrisiko
    im Vergleich zum
    »Durchschnittsmann«
    (2 Snips)
0
Vergleichsgruppe
50 % niedriger
1
1,5 Mal höher
25 % niedriger
2
2 Mal höher
Vergleichsgruppe
3
2,2 Mal höher
1,1 Mal höher
4 oder mehr
4,5 Mal höher
2,3 Mal höher

    Da die Vergleichsgruppe in dieser Studie aus Männern ohne Snips bestand, hat jeder, der ein oder mehr Snips besitzt, ein erhöhtes Risiko. Wir sollen glauben, ein Mann mit zwei Snips habe ein doppelt so hohes Prostatakrebsrisiko. In Wirklichkeit hat ein Mann mit zwei Snips ein durchschnittliches Risiko. Um das relevante Risiko zu berechnen, das Risiko, an dem wir wirklich interessiert sind, müssen wir diesen Durchschnittsmann als Vergleichsmaßstab benutzen. Nur dann können andere Testergebnisse das Risiko erhöhen oder senken, und das Risiko von niemandem ist 4,5 Mal höher. Wie Sie aus der Tabelle ersehen, kann Ihr ungefähres Risiko schlimmstenfalls doppelt so hoch und bestenfalls halb so hoch sein wie das Risiko eines Durchschnittsmannes.
    An Prostatakrebs zu erkranken ist natürlich nicht dasselbe wie daran zu sterben. Seitdem der PSA-Test eingeführt wurde, beginnen wir, das große Reservoir dieser Krankheit in der Gesamtbevölkerung anzuzapfen, wobei zweifellos einige Diagnosen und Behandlungen unnötig sind. Mit anderen Worten: Viele der Männer, die an Prostatakrebs erkranken, sterben nicht daran. Gentests werden dieses Problem wahrscheinlich nicht lösen. Manche Männer mit Prostatakrebs in der Snip-Studie hatten einen sehr aggressiven Krebs, andere einen sehr langsam wachsenden. Aber die Snips konnten nicht zwischen diesen beiden unterscheiden. Die Snips konnten nicht vorhersagen, welche gesunden Männer in jungen Jahren Prostatakrebs bekommen würden oder welche Männer ein Karzinom hatten, das sich bereits über die Prostata hinaus ausgebreitet hatte. Sie konnten weder den Gleason-Grad (damit drücken Pathologen aus, wie aggressiv Zellen unter dem Mikroskop aussehen) noch den PSA-Wert (das biochemische Maß für die Aggressivität eines Karzinoms) vorhersagen. Sie konnten nicht einmal vorhersagen, bei wem eine familiäre Belastung mit Prostatakrebs vorlag (das überrascht, denn man sollte meinen, diese Information sei im Genom enthalten). Zwar half der Test anscheinend, das Prostatakrebsrisiko vorherzusagen, aber er sagte nichts darüber aus, welche Männer an aggressivem (und möglicherweise tödlichem) Prostatakrebs erkranken und welche einen dauerhaft symptomlosen Prostatakrebs bekommen würden.
    Die

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