Die Dichterin von Aquitanien
unterwegs losgeschickt haben, denn sie dachte stets an alles Notwendige.
Es war, als wäre sie niemals fort gewesen. Doch da draußen, jenseits der Mauern und Flüsse, die Poitiers umschlossen, zog ein marodierendes Heer durch die Gegend, das mit jedem Augenblick näher rückte.
Aliénor empfing Marie in ihrem eigenen Gemach. Die übrigen Hofdamen hatte sie offenbar fortgeschickt, und diesmal befand sich auch kein Schreiber bei ihr, dessen Federkiel emsig über Pergament kratzte. Marie war erstaunt über
die Stille. Bisher hatte sie ihre Königin stets mit Geplauder und melodischen Harfenklängen in Verbindung gebracht.
Ein dunkler Schleier verbarg Aliénors Haar. Das Gebände saß straff um ihr Gesicht, das frei von Schminke war. Marie erschrak über die dunklen Schatten unter den graublauen Augen. Falten hatten sich in die Wangen ihrer Königin gegraben, die noch in diesem Sommer einen so frischen, aufgeblühten Eindruck gemacht hatte. Nun glich sie tatsächlich einer Frau von über fünfzig Jahren, die zu erschöpft war, um sich noch herauszuputzen.
»Nun, Marie, ich habe gehört, dass David ben Jehuda deinen Ritter wieder auf die Beine brachte«, hörte sie die vertraute Stimme, während sie pflichtbewusst in die Knie sank. »Das freut mich für dich. Du hättest für eine Abreise von meinem Hof allerdings meine Erlaubnis gebraucht.«
Marie spürte, wie eine unsichtbare Hand ihre Kehle zusammenpresste.
»Ich bitte um Vergebung. Ich fürchtete, Jean könnte jeden Augenblick sterben, und wollte so schnell wie möglich aufbrechen.«
Unsicher richtete sie ihre Augen wieder auf Aliénors müdes Gesicht.
»Das dachte ich mir«, meinte die Königin nur. »Jetzt steh auf, trinke einen Becher Wein mit mir und erzähle von deiner Reise. Es war mutig von dir, wieder zurückzukommen. Bist du dem Heer meines geliebten Gemahls begegnet?«
Erleichtert nahm Marie Platz.
»Wir waren vorsichtig und mieden große Straßen, nachdem wir ein verwüstetes Dorf gesehen hatten«, erzählte sie. »Zwar stießen wir auf weitere Zeichen von Zerstörung, aber die Söldner des Königs trafen wir zum Glück nicht.«
»Nun, Henri war damit beschäftigt, die Burgen meiner Vasallen schleifen zu lassen und Gefangene zu machen. Da
hatte er für zwei unscheinbare Leute auf einem Karren keine Zeit übrig«, erwiderte Aliénor mit dem gewohnten, spöttischen Unterton, während sie an ihrem Weinbecher nippte. Ein klein wenig Leben kam in ihr Gesicht.
»Was ist in der Zwischenzeit geschehen, Hoheit?«, fragte Marie nun freiheraus. »Ich habe nur mitbekommen, dass die Belagerung von Verneuil scheiterte.«
Aliénor lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und drehte den Weinbecher in ihrer Hand.
»Ich dachte, ich hätte Verbündete, auf die ich mich verlassen kann«, sagte sie. »Aber sie lassen mich im Stich, einer nach dem anderen. Louis rannte davon, sobald es ungemütlich wurde. William, der schottische König, wurde von Richard de Luci geschlagen und gefangen genommen. Philipp von Flandern überkam die Schwermut, als sein Bruder Mathieu de Boulogne von einer Armbrust getötet wurde. Er gab den Angriff auf Rouen einfach auf, wartete eine Weile ab und beschloss schließlich, die arme Isabelle wieder mit seiner Gegenwart zu beglücken. Hoffentlich hatte sie noch genug Zeit, ihren gegenwärtigen Liebhaber aus ihrem Bett zu scheuchen, bevor ihr Gemahl in Arras eintraf.«
Aliénor lachte bitter auf. Der Schmerz in ihrer Stimme ließ Marie alle Empörung über die dahingeschlachteten Bauern vergessen. Sie beugte sich vor und legte ihre Finger zaghaft auf den Handrücken ihrer Königin.
»Ist denn alles verloren?«, fragte sie sanft.
Aliénor zuckte nur mit den Schultern.
»Nicht ganz. Meine Söhne haben ein Friedensangebot ihres Vaters abgelehnt. In England und in der Normandie wird noch gekämpft. Aber Henri schlägt eisern zurück. Ich habe in der Tat einen geborenen Sieger geheiratet, wie ich damals in Paris vermutete.«
Wieder ertönte ein Lachen, hinter dem sich Zorn und Verzweiflung
verbargen. Marie ballte ihre Hände zu Fäusten. Sie empfand Trauer, Mitgefühl aber auch eine nagende, überwältigende Furcht. Wollte Aliénor einfach nur dasitzen und warten, bis Henri nach Poitiers vorrückte und seine Söldner diese herrliche Stadt in Schutt und Asche legten?
»In diesem Fall wäre es vielleicht klüger, Eurem Gemahl eine Nachricht zukommen zu lassen und um Vergebung zu bitten?«, begann sie zaghaft. »Ihr seid die Mutter seiner
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