Die Dichterin von Aquitanien
eine zärtliche Berührung auf ihrer Haut. Ermutigt wandte sie sich an die Königin und berichtete von ihrer unerfreulichen Begegnung mit Denis Piramus. Aliénors Miene blieb ungerührt.
»Wer Erfolg hat und Ansehen genießt, muss mit boshaften Neidern rechnen, Marie. Und dass deine Lais frommen Kirchenmännern missfallen, dürfte dich nun kaum überraschen. Ich werde mich um diesen Kleriker kümmern, wenn ich die Zeit dazu habe. Er sollte Poitiers verlassen.«
Sie verstummte kurz, dann drehte sie nachdenklich einen Ring an ihrem Finger, um leise fortzufahren.
»Aber diese Sache mit den Walisern … Ich fürchte, das stimmt. Sie sind Henris Verbündete. Ich hatte gar nicht
mehr daran gedacht, dass dein noch gegenwärtiger Gemahl Waliser ist.«
Marie starrte auf ihr reichlich belegtes Brett. Zunächst hatte sie Hunger verspürt, doch jetzt würde sie keinen Bissen herunterbringen.
»Nach dem Mahl wünsche ich, dich in meinem Gemach zu sehen«, erklärte die Königin nun etwas lauter, bevor sie sich Marguerite und Alais zuwandte. Nur ein knapper Seitenblick aus den graublauen Augen versicherte Marie, dass Aliénor bereit war, nach einer Lösung des Problems zu suchen.
Als Marie in ihr Gemach gelangte, lag bereits nächtliche Ruhe über dem Palast. Sie hielt vorsichtig eine schützende Hand vor die Kerze, die ihr den Weg erhellt hatte. Jean blätterte in einem ihrer Bücher. Hawisa musste einen ihrer Liebhaber aufgesucht haben.
»Was ist, Marie? Du siehst blass aus«, begrüßte Jean sie. Langsam ließ sie sich ihm gegenüber nieder. Die Neuigkeiten wollten nicht über ihre Lippen, aber es war nötig zu reden.
»Ich kann morgen nicht mit dir abreisen.«
»Warum?«
»Weil es gefährlich für mich sein könnte. Selbst wenn ich mich bei deinen Eltern verstecke, würde Henri mich finden. Ich bin immerhin seine Nichte und es könnte ihm einfallen, nach mir zu suchen.«
Jeans Augen weiteten sich ungläubig.
»Aber die Königin …«
»Die Königin«, erklärte Marie, »wird demnächst heimlich nach Paris zu ihrem früheren Gemahl aufbrechen. Dort sind ihre Söhne und auch Raoul de Faye. Der Krieg ist verloren, Jean. Henri wird hier einfallen und mit ihrem Hofstaat verfahren, wie es ihm beliebt. Ich bin die Gemahlin
eines seiner Verbündeten. Aliénor befreite mich aus dieser Ehe, doch ohne ihren Schutz wäre ich wehrlos. Deshalb soll ich sie begleiten.«
Er klappte das Buch zu und legte es auf den Tisch.
»Nun gut, ich verstehe. Aber was soll aus uns werden? Und aus Amélie?«
Marie schluckte, dann holte sie Luft und ergriff seine Hand. Der Druck seiner Finger gab ihr neuen Mut.
»Fahre zu unserer Tochter. Je eher du den Hof von Poitiers verlässt, desto besser ist es für dich, denn Henri wird dich nicht als Anhänger der Verschwörer betrachten. Ein einfacher Ritter auf dem Land ist für ihn ohne Bedeutung. Folge mir zusammen mit Amélie, sobald ich in Paris bin. Das scheint mir der sicherste Weg für uns alle.«
Jean legte beide Hände auf seine Knie und straffte die Schultern.
»Es geht wohl nicht anders«, gab er zu. »Vor dem König kann ich dich nicht schützen.«
Marie presste eine Hand gegen ihren Hals, wo ihr Blut heftig pulsierte.
»Ich hoffe, du bereust es eines Tages nicht, dich in eine uneheliche Verwandte des Königs verliebt zu haben. Mit jedem anderen Mädchen könntest du …«
»… mich bis an mein Lebensende langweilen, weil ich die falsche Frau gewählt habe«, unterbrach er sogleich. Marie schüttelte den Kopf, lächelte jedoch.
»Wie hartnäckig du doch bist!«, meinte sie und streckte die Arme nach ihm aus. Es war nur eine Frage der Zeit. In Paris würden sie endlich für immer zusammenkommen.
12. Kapitel
E s war bereits November, als Aliénor aufbrach. Alle Hoffnungen auf eine Wende im Kriegsgeschehen waren zerschlagen worden. Henri schleifte die Burgen der aquitanischen Vasallen und rückte mit jedem Tag näher.
Marie wartete in ihrem Gemach, wie die Königin sie angewiesen hatte. Sie würden den Palast und schließlich die Stadt so unauffällig wie möglich verlassen, hatte Aliénor ihr bei einem Gespräch unter vier Augen erklärt. Hawisa brachte zur Vespera ein Bündel herein, in dem sich die von Aliénor ausgesuchte Reisekleidung befand. Marie befühlte staunend Beinkleider aus weichem Leder und eine wollene Tunika.
»Aliénor wird sich als Mann verkleiden, und das sollst du auch tun. So habe ich es von der königlichen Zofe erfahren«, erklärte Hawisa und stellte
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