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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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Nationalität ist?«
    »Er hatte eine Art Schlupfwinkel in der Bodenkammer, erreichbar durch eine Falltür.« Betteredge wickelte den Revolver wieder in sein geöltes Tuch.
    »Verdammt kalt, kann ich mir denken.«
    »Nun, er hatte Decken, Sir.«
    »Die Dose.«
    »Sir?«
    »Die Konservendose, die die letzte Mahlzeit des Mannes enthielt, Betteredge.«
    »Nein, Sir. Keine Konservendose.«
    »Ordnungsliebend«, sagte Oliphant zu Fraser. »Sie wartete, bis das Gift gewirkt hatte, dann kam sie zurück und beseitigte das Beweismaterial.«
    »Der Chirurg wird eine Obduktion machen und unser Beweismaterial beschaffen, keine Bange«, merkte Fraser an.
    Oliphant verspürte einen Anflug von Übelkeit – über Frasers Benehmen, über die Nähe des Leichnams, über den durchdringenden Gestank nach verbrannten Bohnen. Er wandte sich um und ging hinaus in den Korridor, wo ein anderer von Frasers Männern die Karbidlampe einstellte.
    Was für ein elendes Haus, in einer elenden Straße, Schauplatz eines elenden Verbrechens. Seine Übelkeit vermählte sich mit Abscheu, einem wilden, hoffnungslosen Abscheu vor dieser geheimen Welt, ihren mitternächtlichen Fahrten, labyrinthischen Lügen, ihren Legionen von Verdammten, Verlorenen. Seine Hände zitterten, als er sich mit dem Schwefelholz den Stumpen anzündete. Er paffte, runzelte die Stirn und betrachtete das Ende des Stumpens. »Mein Freund an der Ecke Chancery Lane hat mir kein so gutes Blatt wie sonst gegeben. Man muss sehr vorsichtig sein, wie man seine Zigarren auswählt.«
    »Wir haben das Haus vom Keller bis zum Dachboden durchsucht, Mr. Oliphant. Wenn sie hier gelebt hat, ist jedenfalls keine Spur von ihr zu finden.«
    »Wirklich nicht? Und wem gehört dieser schöne eingelegte Schrank unten? Wer begießt die Kakteen? Ganz ohne Wasser können die auch nicht leben. Vielleicht erinnerten sie unseren texanischen Freund an seine Heimat.« Er paffte entschlossen an seinem Stumpen und stieg die Treppe hinunter, gefolgt vom eifrigen Betteredge.
    Ein spröde aussehender Beamter der Kriminalanthropometrie stand gedankenverloren vor dem Pianino, als versuche er sich eine Melodie ins Gedächtnis zurückzurufen. Zu den verschiedenen Instrumenten, die dieser Herr in seiner schwarzen Tasche trug, gehörten Tastzirkel und Maßbänder zur Schädelvermessung.
    »Sir«, sagte Betteredge, als der Anthropometriker hinaufgegangen war, »wenn Sie meinen, ich sei verantwortlich, dass wir sie verloren haben …«
    »Ich glaube, Betteredge, dass ich Sie zuvor zu einer Matinee ins Garrick schickte, um über die akrobatischen Damen aus Manhattan zu berichten, nicht wahr?«
    »Ja, Sir …«
    »Dann sahen Sie die Truppe aus Manhattan?«
    »Ja, Sir.«
    »Und Sie sahen sie auch dort?«
    »Jawohl, Sir! Auch die Makrele und seine zwei waren da.«
    Oliphant nahm seine Brille ab und putzte sie.
    »Wie waren die Akrobaten, Betteredge? Um solch ein Publikum anzulocken, müssen sie bemerkenswert gewesen sein.«
    »Gott, Sir, sie schlagen mit Ziegelbrocken aufeinander ein! Die Frauen laufen mit schmutzigen bloßen Füßen und Schärpen herum, Sir, besser gesagt, mit Gazeschleiern, ohne nennenswerte Bekleidung …«
    »Und Sie hatten Ihren Spaß, Betteredge?«
    »Ehrlich gesagt, nein, Sir. Es war wie eine Pantomime im Tollhaus. Und ich hatte die Arbeit davon, mit den Pinklern und so …«
    »Die Makrele« war ihr Name für den leitenden Pinkerton-Agenten, einen backenbärtigen Yankee aus Philadelphia, der sich meistens als Beaufort Kingsley DeHaven ausgab, manchmal auch als Beaumont Alexander Stokes. Er war die Makrele wegen seiner anscheinend unveränderlichen Vorliebe für diesen Fisch, den er jeden Tag zum Frühstück aß, wie Betteredge und andere Beobachter gemeldet hatten.
    Die Makrele und zwei seiner Untergebenen waren seit mehr als achtzehn Monaten in London und sozusagen zur festen Einrichtung geworden. Oliphant fand sie außerordentlich interessant, und sie dienten ihm zum Vorwand, zusätzliche Etatmittel für die Sonderabteilung abzuzweigen. Die Pinker ton-Organisation war zwar vorgeblich eine Privatfirma, diente jedoch als das zentrale geheimdienstliche Spionageorgan der Vereinigten Staaten. Die Pinkertons hatten eigene Agentennetze in den Konföderierten Staaten und in den Republiken Texas und Kalifornien und waren über die Verhältnisse in diesen Ländern meistens besser unterrichtet als die betreffenden Regierungen.
    Mit der Ankunft der Makrele und seiner Kohorte in London hatten einige Stimmen in der

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