Die Dirne vom Niederrhein
Langsam und behäbig schritt er auf Maximilian zu und reichte ihm die Hand.
»Es freut mich sehr, deine Bekanntschaft zu machen«, sagte der Arzt leise und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wandte sich an den Vikar: »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mir den jungen Mann gerne für eine Weile ausleihen, Nikolas. Ich habe noch eine Menge in der Krankenstube zu tun und bräuchte tatkräftige Unterstützung.«
Der Vikar öffnete die Arme, als würde er seinen alten Freund beschenken. »Mach nur. Du musst wissen«, erklärte er an Maximilian gerichtet, »wir erhalten Geld für die Betreuung der Kranken und Verletzten von Kurie und Stadt. Leider ist es viel zu wenig, um ihnen allen helfen zu können.« Seine Stimme verlor an Kraft, als erschüttere ihn allein der Gedanke daran. »Wir geben unser Möglichstes, doch sind es viel zu viele, die unserer bedürfen, aber mit Gottes Hilfe werden wir Gottes Werk vollbringen.«
Bei diesen Worten räusperte sich Schwester Agathe und trat einen Schritt in den Raum hinein. »Dies ist ein Grund, warum ich mit Euch reden wollte. Leider stimmen die Einnahmen aus der Kurie nicht mit unseren Büchern überein. Auch die Spenden weisen fehlende Beträge auf«, erklärte sie scharf und mit fester Stimme.
Vikar Weisen zog die Stirn in Falten und blickte betroffen auf seinen Schreibtisch. »Ja, es gibt viel Elend in dieser Zeit und tragischerweise bringt es das Schlechteste der Menschen zum Vorschein.« Ein weiteres Mal blickte er zu Maximilian. »In der Tat wird unser schönes Kloster oft das Ziel von Überfällen des gottlosen Gesindels. Sie erkennen die Wichtigkeit unserer Arbeit nicht an. Es sind nicht allein Geldbeträge entwendet worden. Gold, Statuen, heilige Artefakte – nichts scheint vor ihrer Gier sicher zu sein. Aber mit Gottes Gnade werden wir gegen dieses Unheil ein gerechtes Mittel finden.«
»Ich bin durchaus über die Überfälle und Diebstähle im Bilde«, setzte die Nonne erneut an. »Trotzdem ist mein Herz schwer vor Sorge, die ich gerne an Euch herantragen würde. Es betrifft unter anderem die Behandlung der Bedürftigen in unserer Krankenstube.«
»Aber Schwester Agathe, Ihr seid kein Arzt. Unser Doktor Sylar weiß, was richtig für sie ist. Macht Euch keine Sorgen«, antwortete der Vikar mild. »Ich werde mich persönlich darum kümmern.«
Doch die Nonne versuchte es erneut, ihre Stimme war verwoben mit dem Hauch der Verzweiflung, wie bei Menschen, die unzählige Male nicht gehört wurden: »Auch dass unsere Arbeitskraft bei Doktor Sylar eingesetzt werden soll, möchte ich zur Sprache bringen. Im Kloster gibt es viel zu erledigen, das …«
Maximilian war froh, als Vikar Weisen sie unterbrach.
»Ihr werdet ihn für ein paar Stunden entbehren können. Unser – sicherlich geschickter – Schmied ist viel mehr als eine Hilfskraft. Habt Ihr in seine Augen gesehen? Er ist ein richtiger Denker! Er wird noch einige Tage bei uns weilen, hoffe ich«, ergänzte der Vikar und sah Maximilian erwartungsvoll an.
Verlegenheit zauberte rote Flecken in sein Gesicht, als er die Worte des Mannes hörte, und zum ersten Mal seit langer Zeit huschte ein zufriedenes Lächeln über seine Lippen. »Natürlich, Herr Vikar. Es wäre mir eine Freude, in Eurer Krankenstube auszuhelfen.«
»Das ist die Antwort, die ich hören wollte. Und jetzt bitte ich Euch, mich zu entschuldigen, ich habe noch eine Menge zu erledigen, was bis tief in die Nacht dauern wird.«
Alle verließen den Raum. Das Schließen der schweren Tür erfüllte den Flur. Augenblicklich wandte sich Doktor Sylar an Schwester Agathe: »Es tut mir leid, werte Schwester, aber für meine Forschungen brauche ich den jungen Mann.«
»Das habt Ihr ja geschickt eingefädelt«, zischte die Nonne und bedachte ihn mit einem hasserfüllten Blick. »Ich muss mit dem ohnehin kargen Geld noch ein Maul mehr stopfen und Ihr bekommt ihn als Arbeitskraft.«
Erschöpft zuckte der Arzt mit den Schultern. »Ihr habt den Jungen doch gehört, außerdem entscheidet der Vikar über solche Fragen.«
Schwester Agathe trat einen Schritt auf den Arzt zu und überragte ihn mindestens um zwei Köpfe.
»Ja, Ihr und Euer alter Freund wisst, wie man Geld scheffelt und Kontakte knüpft, nicht wahr?«
»Vorsicht, werte Schwester. Sagt nichts, was Ihr später noch bereuen könntet.«
Nach diesen Worten zog sich die Nonne pikiert zurück und Maximilian war froh, endlich seine strenge Aufpasserin los zu sein. Eine gewisse Genugtuung stieg
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