Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
Vom Netzwerk:
Gebrabbel im Schlaf und die Streitigkeiten, welche sie untereinander ausfochten. Jede Erinnerung an Lorenz war schmerzvoll, jeder Gedanke trieb ihm Tränen in die Augen, bis er sich in den Schlaf weinte.
    Im Morgengrauen klopfte dann Schwester Agathe an seine Tür. Die Frau behandelte ihn wie ein Stück Vieh, wie einen Ochsen, dem sie das Joch der Arbeit aufbürden konnte, wie es ihr beliebte. Ihre schneidende Stimme tat jedes Mal in seinen Ohren weh. Wenn er doch nur die Order direkt vom Vikar empfangen könnte …
    Dieser behandelte ihn wie ein Mensch, mehr noch. Wie einen Sohn.
    Derart in Gedanken riss ihn ein Schrei aus seinen Grübeleien. So hell und spitz, dass er ihm durch Mark und Bein fuhr. Augenblicklich saß Maximilian aufrecht im Bett. Einige Momente blickte er zur Tür.
    Die Neugier trieb Maximilian dazu, sich seine Kleidung überzuwerfen und in die kühlen Gänge der Abtei zu treten. Hier herrschte Stille. Kein Geräusch drang an seine Ohren, nur weit hinter der großen Treppe meinte er, einen Lichtschimmer auszumachen. Seine nackten Füße klatschten auf den steinernen Boden, als er sich mit aller gebotenen Vorsicht näherte. Und tatsächlich – aus dem Krankenzimmer drang goldener Kerzenschein, der sich züngelnd auf die kargen Wände legte. Die ansonsten stets verschlossene Tür stand offen. Jetzt erst konnte er das Stöhnen und Wehklagen der Kranken vernehmen. Als er über die Schwelle trat, drang ihm erneut dieser beißende Geruch in die Nase. Mit aller Macht musste er die aufkommende Übelkeit bekämpfen, um das Zimmer betreten zu können.
    »Doktor Sylar?«, rief Maximilian mit fester Stimme und näherte sich langsam dem Trakt der Einzelzimmer, der ihn eher an einen Kerker erinnerte. »Doktor Sylar, ist alles in Ordnung?« Vorsichtig lugte er in die dunklen Stuben, doch er entdeckte nichts Ungewöhnliches. Teilweise sah er nur Dunkelheit, manchmal eine sich windende Gestalt. Erst bei der letzten Tür hielt er inne. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Ein dicker Kloß bildete sich in seiner Kehle, als er bemerkte, dass sie lediglich angelehnt war. Aus dieser Zelle drang eine zerbrechlich klingende Männerstimme, kaum wahrnehmbar und durchzogen von Pein. Langsam ergriff er das Eisen des Knaufs und öffnete die Tür.
    »Doktor Sylar!«, entfuhr es Maximilian und er stürzte auf den Arzt zu. Der Doktor war schwer verwundet. Blut vermischte sich mit der Dunkelheit zu einer schwarzen Flüssigkeit, die aus einer Kopfwunde tropfte. Das Glas seiner Brille lag zerbrochen am Boden, mit Körper und Gesicht lehnte er voller Erschöpfung an der Wand.
    »Oh, Herrgott, ein Wunder«, stöhnte er leise und ohne Kraft. »Bring mich eilig zum Vikar! Sie ist entflohen.«
    »Sollten wir nicht erst einmal Eure Wunde behandeln?«, schoss es aus Maximilian hervor. Ohne Probleme konnte er dem Arzt aufhelfen und legte einen Arm um dessen Schulter.
    »Nein, du verstehst nicht. Sie ist entflohen.« Er hatte sichtlich Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten.
    »Lasst sie laufen, sie ist nur ein Mädchen, was kann sie schon ausrichten?«
    »Du verstehst nicht«, stöhnte Doktor Sylar, als sie die Krankenstube verließen. »Das Mädchen ist gefährlich, der Teufel selbst spricht aus ihr. Wir müssen sie finden … wir müssen sie finden und hierher zurückbringen.«
    Immer wieder gaben die Beine des Arztes nach, sodass Maximilian das Gefühl hatte, er würde einen nassen Sack hinter sich herschleifen.
    »Ihr sagtet, dass Ihr sie heilen könnt.«
    »Das war auch mein Gedanke. Irgendetwas muss schiefgegangen sein. Die erwünschte Wirkung blieb jedenfalls aus. Sie ist stark wie ein Bär und tückisch. Bring mich zum Studierzimmer des Vikars.«
    Endlich hatten sie die schwere Tür erreicht.
    »Er ist noch wach?«, wollte Maximilian ungläubig wissen und ließ seine Faust gegen das Holz sausen.
    »Er hat noch … Er muss noch arbeiten.«
    Wie konnte das sein? Es war mitten in der Nacht. Dass Doktor Sylar noch seinem Werk nachging, war zwar merkwürdig, jedoch: Was interessierte den Tod die Tageszeit? Es war also verständlich, dass der Arzt sich auch nächtens um seine Patienten kümmerte. Aber weshalb war der Vikar noch in seiner Schreibstube?
    Im Inneren der Stube regte sich etwas. Es raschelte und Worte wurden geflüstert, schließlich öffnete der Vikar die Tür.
    »Wer stört mich zu später Stunde?«, grollte er, doch als er seinen angeschlagenen Freund erblickte, half er sofort, ihn auf einen Stuhl zu hieven. »Wie ist

Weitere Kostenlose Bücher