Die Donovans 4: Der verzauberte Fremde
voll.“
„Du wirst wissen, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.“ Er streckte die Hand aus und spielte gedankenverloren mit dem Ende ihres Zopfs.
„Und ich auch.“
„Das muss wohl einer von diesen typisch irischen Mystizismen sein.“
„Du ahnst nicht einmal die Hälfte“, murmelte er, dann drehte er sich um und ging davon.
Nun, dachte sie bei sich, der Tag ist gar nicht mal so schlecht gelaufen.
Als er in ihren Träumen zu ihr kam, empfing sie ihn mit Freuden. Als sein Geist sich mit ihrem verband, sie verführte, sie berührte und erregte, seufzte sie auf, bot sich ihm dar, gab willig.
Sie erschauerte vor Lust, hauchte seinen Namen und spürte, dass er genauso verletzlich war wie sie. Für diesen einen kurzen Moment, in dieser kurzen, verschwommenen Zeitspanne war er eins mit ihr, konnte ihr nicht verweigern, um was sie bat.
Wenn sie doch nur die Bitte kennen würde.
Selbst als ihr Körper glühte, als ihr Geist in höchsten Sphären schwebte, gab es noch immer einen Teil in ihr, der grübelte.
Worum sollte sie ihn bitten? Was sollte sie ihn fragen? Was musste sie wissen?
In der Dunkelheit, während der Halbmond silbrige Lichtfäden durch das offene Fenster fließen ließ, wachte sie allein auf. Sie barg das Gesicht in den Kissen und hörte mit schmerzendem Herzen dem nächtlichen Heulen des Wolfes zu.
6. KAPITEL
R owan konnte zusehen, wie der Frühling sich zu seiner vollen Pracht entfaltete. Und während sie zusah, erwachte auch etwas in ihr zu neuem Leben. Narzissen und Windröschen wetteiferten mit ihren Blüten, der kleine Birnbaum vor dem Küchenfenster erstrahlte in schimmerndem Weiß.
Tief im Wald zeigten die wilden Azaleen zarte rosa und weiße Spitzen, am Fingerhut brachen die Knospen auf. Es gab so viele Wildblumen, dass Rowan sich fest vornahm, bei ihrer nächsten Fahrt in die Stadt auch ein Buch über die einheimische Flora zu besorgen. Sie wollte sie alle kennenlernen, ihre Namen wissen und sie studieren.
Irgendwie schien sie auch aufzublühen. War ihr Teint nicht rosiger geworden, ihre Augen nicht leuchtender? Eines wusste sie sicher: Sie lächelte viel öfter, genoss das simple Gefühl, wenn ihre Lippen sich verzogen, auf einem Spaziergang, beim Zeichnen oder wenn sie abends in der milden Abendluft auf der Veranda saß und stundenlang las.
Die Nächte waren nicht mehr einsam. Wenn der Wolf kam, redete sie mit ihm über alles, was ihr gerade durch den Kopf ging. Kam er nicht, war sie auch zufrieden damit, den Abend allein zu verbringen, in der Gewissheit, dass er wiederkommen würde.
Sie hätte nicht genau bestimmen können, was anders geworden war, nur, dass sich etwas verändert hatte. Und dass noch größere Veränderungen in der Luft lagen.
Vielleicht lag es an ihrer Entscheidung, nicht nach San Francisco zurückzukehren, oder zu ihrem Lehrerinnenposten, oder zu dem praktischen kleinen Apartment, nur Minuten vom Haus ihrer Eltern entfernt.
Mit Geld war sie immer vorsichtig umgegangen. Sie verspürte kaum Bedürfnis, sich mit Dingen zu umgeben oder ihren Schrank mit Garderobe zu füllen oder exotische Reisen zu machen. Eine kleine Erbschaft von der Seite ihrer Mutter war hinzugekommen, die sie solide angelegt hatte und die über die letzten Jahre stetig gewachsen war.
Genug als Anzahlung für ein kleines Häuschen irgendwo.
Irgendwo, wo es hübsch und ruhig ist, dachte sie, während sie mit einer Tasse dampfenden Kaffees auf der Veranda stand und den anbrechenden Tag begrüßte. Nein, es musste schon ein Haus sein. Nie wieder in einer Wohnung leben. Und irgendwo auf dem Land. Sie würde nie wieder in der Geräuschkulisse einer Stadt glücklich sein können. Sie würde einen selbst angelegten Garten haben – das würde sie schon noch lernen – und vielleicht sogar einen kleinen Teich dabei.
Es musste auch nahe genug am Meer liegen, damit sie Spaziergänge am Strand machen konnte und das Rauschen hören würde. Vielleicht, aber nur vielleicht, würde sie beim nächsten Mal in der Stadt einen Makler aufsuchen, sich informieren, was angeboten wurde.
Es war ein Riesenschritt – den richtigen Platz finden, das richtige Haus.
Es einzurichten, es zu unterhalten. Gedankenverloren wickelte sie sich das Ende ihres Zopfs um den Finger, dann ließ sie die Hand fallen. Sie war bereit, diesen Schritt zu unternehmen. Sie würde ihn machen.
Und sie würde Arbeit finden, die sie befriedigte, sie ausfüllte. Sie wäre glücklich und zufrieden damit für den Rest ihres
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