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Die Doppelgaengerin

Die Doppelgaengerin

Titel: Die Doppelgaengerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Howard
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konnte. Wir nahmen die Schlinge von meinem linken Arm ab, und obwohl ich den Arm schon wieder etwas bewegen konnte, war der Spielraum begrenzt, weshalb sie ihn für mich hinter meinen Rücken schob. Dann band sie in einem Geniestreich den Schal um meine Hüften und den Arm, um ihn zu fixieren.
    Ich stellte mich auf die andere Seite des Tisches, weg vom Herd und in den breiten Durchgang zum Esszimmer, wo ich jede Menge Platz hatte. Dann beugte ich mich vor, legte die Hand auf den Boden, stemmte den Ellbogen gegen das rechte Knie, brachte den Schwerpunkt genau über den Arm und begann mich langsam, langsam einzurollen, bis meine Füße vom Boden weg waren.
    In dieser Position erblickte uns Wyatt, als er zur Hintertür hereinkam. Wir waren so in mein Kunststück vertieft gewesen, dass wir gar nicht gehört hatten, wie er die Auffahrt heraufgefahren war.
    »Heilige Scheiße!«, entfuhr es ihm mit einer Wucht, die seine Mutter und mich zusammenzucken ließ.
    Das war gar nicht gut, weil ich dadurch aus dem Gleichgewicht geriet. Ich begann zu wackeln, Mrs. Bloodsworth schnappte nach meinem Knie, und Wyatt hechtete über den Tisch. Irgendwie bekam er meine beiden Beine zu fassen, wodurch er mich vor dem Umpurzeln bewahrte, und schlang dann einen sehnigen Arm um meine Taille, um mich sanft wieder aufzurichten.
    Seine Miene war ganz und gar nicht sanft. »Was zum Teufel soll dieser Unfug?«, schnauzte er mich an, das Gesicht zornrot, bevor er sich zu Mrs. Bloodsworth umdrehte. »Mutter, du sollst sie von so einem Blödsinn abhalten und sie nicht noch anstiften!.«
    »Ich wollte ihr nur zeigen …«, setzte ich an.
    »Ich habe gesehen, was du ihr nur zeigen wolltest! Herr im Himmel, Blair, du wurdest vor vierundzwanzig Stunden angeschossen! Du hast eine Menge Blut verloren! Verrate mir bitte, wie unter diesen Umständen ein Handstand kein Blödsinn sein kann!«
    »Da ich ihn hinbekommen habe, steht wohl fest, dass ich dazu durchaus in der Lage war. Wenn du mich nicht so erschreckt hättest, wäre überhaupt nichts passiert.« Ich sprach mit aller Nachsicht auf ihn ein, nachdem wir ihn so erschreckt hatten. Ich konnte ihn verstehen. Beruhigend tätschelte ich ihm den Arm. »Es ist alles in Ordnung. Warum setzt du dich nicht hin, und ich bringe dir was zu trinken. Eistee? Oder Milch?«
    »Du brauchst dich nicht aufzuregen«, meinte seine Mutter beschwichtigend. »Ich weiß, dass du einen Schreck bekommen hast, aber wir hatten wirklich alles unter Kontrolle.«
    »Unter Kontrolle? Sie – du …« Er verstummte stammelnd und schüttelte den Kopf. »Hier ist sie jedenfalls nicht sicherer als zu Hause. Ein Genickbruch kann sie genauso töten wie eine Kugel. Das reicht. Am besten bleibt sie ab sofort den ganzen Tag in meiner Wohnung, und zwar an die Kommode im Bad gekettet.«

16
    Wie nicht anders zu erwarten, war unser Abendessen keine sehr fröhliche Veranstaltung. Wir waren sauer auf Wyatt, und er war sauer auf uns. Den Appetit ließ ich mir trotzdem nicht verderben; immerhin musste ich den Blutverlust ausgleichen.
    Seine Laune wurde auch nicht besser, als seine Mutter, nachdem er ihr in der Küche beim Aufräumen geholfen hatte, mich zum Abschied umarmte und deutlich vernehmbar ermahnte: »Nehmen Sie einen guten Rat an, meine Beste, und schlafen Sie nicht mit ihm.«
    »Tausend Dank, Mutter«, bemerkte er sarkastisch und handelte sich damit ein hoheitsvolles Schniefen und Achselzucken ein.
    »Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, antwortete ich.
    »Kommen Sie morgen wieder her?«, fragte sie mich.
    »Nein«, mischte er sich grantig ein, obwohl sie ihn nicht gefragt hatte. »Ihr seid kein guter Umgang füreinander. Ich werde sie im Bad anketten, genau wie ich gesagt habe.«
    »Ich will nicht mit zu dir kommen«, sagte ich und sah aus schmalen Augen zu ihm auf. »Ich will hier bleiben.«
    »Dumm gelaufen. Du kommst mit, und damit basta.« Er schloss eine starke Hand um mein rechtes Handgelenk und zerrte mich ohne ein weiteres Wort zum Auto.
    Während wir in tiefem Schweigen zu seinem Haus fuhren, grübelte ich darüber nach, was dieser letzte Temperamentsausbruch zu bedeuten hatte. Ich meine sein Ausbruch, nicht unserer. Was uns getrieben hatte, wusste ich genau, darüber brauchte ich mir nicht den Kopf zu zerbrechen.
    Ich hatte ihm Angst eingejagt. Nicht nur einen Schrecken, weil ich ihn mit einer überraschenden Situation konfrontiert hatte, wie ich zuerst geglaubt hatte, sondern tiefe, existentielle Angst. Vor Angst war er

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