Die Doppelgaengerin
seiner Mutter war, die ihm bessere Manieren beigebracht hatte. Es war nur ein kleines Scharmützel, aber diesmal hatte ich ihn über die Flanke attackiert, und das freute mich irrsinnig.
Schließlich hörte ich ihn schwer seufzen. »Entschuldige bitte. Ich werde nie wieder einfach auflegen. Ehrenwort.«
»Entschuldigung angenommen«, verkündete ich knapp. »Also, wird das Great Bods morgen wieder öffnen können?« Es ist nicht fein, auf einen Gegner einzutreten, der am Boden liegt, oder? Ich hatte gesiegt, darum war ich milde gestimmt und ließ die Sache auf sich beruhen.
»Ich bin zu neunzig Prozent sicher, dass es öffnen kann.«
»Gut. Steht mein Auto immer noch davor?«
»Nein. Ich habe die Schlüssel aus deiner Tasche genommen und es heute Morgen zu dir nach Hause fahren lassen. Es steht sicher und wohlbehalten an seinem Platz.«
»Wann hast du die Schlüssel rausgeholt?«, fragte ich, weil ich nichts davon gemerkt hatte.
»Gestern Nacht. Du hast tief und fest geschlafen.«
»Ich hoffe, dass bei mir zu Hause alles in Ordnung war, dass keine Fenster eingeschossen waren oder so?«
»Der Kollege hat überall nachgesehen und erzählt, dass alles fest verriegelt war, die Fenster inklusive, und dass nirgendwo Einschüsse zu sehen waren.«
»Ist er auch über den Zaun geklettert und hat die Terrassentür auf der Rückseite kontrolliert?«
»Er sagte, er hätte alle Türen überprüft. Ich gehe kurz rüber und frage noch mal ausdrücklich nach der Terrassentür.« Er verschwand vom Telefon und kam wenig später zurück. »Simmons sagte, er habe nicht über den Zaun klettern müssen; er hat einfach das Tor aufgedrückt und ist reingegangen.«
Ein eisiger Schauer überlief mich. »Ich schließe das Tor grundsätzlich ab.« Meine Finger krallten sich um das Telefon. »Ich weiß, dass ich es abgeschlossen habe.«
»Scheiße. Ich schicke sofort jemanden hin. Du bleibst, wo du bist.«
»Als könnte ich was anderes tun«, sagte ich trocken. Wir verabschiedeten uns beide ungeheuer höflich, damit keiner dem anderen vorwerfen konnte, er hätte einfach aufgelegt; dann berichtete ich Mrs. Bloodsworth die neuesten Vorkommnisse.
Und dabei fiel mir Siana ein. Sie sollte heute in meine Wohnung gehen und frische Kleidung für mich einpacken. Und wenn sie durch einen grauenvollen Zufall genau in dem Augenblick in meinem Haus gewesen war, in dem der Unbekannte, der mein Tor aufgeschlossen hatte – was sich nur von innen machen ließ –, auch dort war? Siana war blond. Sie war ein bisschen größer als ich, aber das musste Nicoles Mörder nicht wissen. Und sie hatte einen Schlüssel zu meiner Wohnung, falls ich meinen verlieren sollte.
Sie konnte jederzeit in meine Wohnung gegangen sein, um meine Sachen zu holen; gleich heute Morgen, in der Mittagspause, oder sie würde erst nach der Arbeit hinfahren – obwohl ich nicht glaubte, dass sie so lange warten würde, weil sie manchmal bis acht oder neun Uhr abends arbeiten musste und noch Wyatt treffen musste, um ihm die Tasche zu übergeben.
»Was ist denn?«, fragte Mrs. Bloodsworth, die mich aufmerksam beobachtet hatte.
»Meine Schwester«, sagte ich leise. »Sie sollte heute in meine Wohnung gehen, um ein paar Sachen zu packen und sie Wyatt zu geben. Er hat das nicht erwähnt, und jetzt habe ich Angst, dass …«
Jemand sie mit mir verwechselt haben könnte. O Gott.
Ich betete so innig wie noch nie in meinem Leben, während ich erneut Wyatts Nummer eintippte. Er klang argwöhnisch, als er den Hörer abnahm. »Siana sollte heute für mich ein paar Sachen aus meiner Wohnung holen«, sprudelte es aus mir heraus. »Hast du schon von ihr gehört?«
»Ganz ruhig.« Sofort klang seine Stimme beschwichtigend. »Es geht ihr gut. Sie hat die Tasche gleich heute Morgen vorbeigebracht.«
»Gott sei Dank. Gott sei Dank.« Tränen brannten in meinen Augen. »Mir ist eben klar geworden … Sie ist blond; sie ist ungefähr so groß wie ich; der Mörder könnte uns leicht verwechseln.« Mir war fast schlecht, weil mir das nicht früher bewusst geworden war, und dem leisen Fluch nach zu urteilen, den ich aus dem Hörer hörte, hatte sich auch Wyatt keine Gedanken über unsere Ähnlichkeit gemacht, zumindest nicht in diesem Zusammenhang. Unsere Bekannten und Verwandten würden uns keinesfalls verwechseln, weil sich unsere Gesichter kaum ähneln, aber oberflächlich und aus der Ferne betrachtet …
Weil Wyatt Polizist war, fragte er sofort: »Ist es möglich, dass Siana dein Tor
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