Die Dornen der Rose (German Edition)
und Hof und dann über die dahinterliegenden Felder schweifen. Ein Mann, der auch eine Fliege auf einem Blatt erspähen würde, dachte sie. Seine Miene blieb gelassen. »Es ist ruhig hier.«
Es war drückend schwül, und ein leichtes Summen lag in der Luft. Kein Mensch war an diesem späten Nachmittag zu sehen. Die Hühner vor dem Haus wirkten lustlos. Kein Hund bellte. Sogar die Kühe auf der Anhöhe verharrten regungslos, als hätte jemand sie dorthin gemalt.
Unbehagen stieg in ihr auf. »Alles ist so wie immer. Ich mag die Ruhe.«
»Das ist zu viel Ruhe.« Unauffällig beschrieb er mit zwei Fingern der rechten Hand einen Kreis. Adrian hörte auf zu reden. »Wenn sie aus dem Fenster sehen, haben sie uns gesehen. Gibt es einen Grund, warum Ihre Freundin nicht mit Freudenschreien aus dem Haus kommen sollte?«
»Sie rechnet nicht mit mir, und aus dieser Entfernung erkennt sie mich vielleicht nicht. Ich komme sonst immer mit der Kutsche. Sie wundern sich bestimmt …«
»Sie werden sich noch mehr wundern, wenn wir hier weiter stehen und reden.« Er machte eine schnelle Bewegung mit gekrümmten Fingern. Noch ein Zeichen für Adrian. »Lassen Sie uns zu Ihrer Freundin gehen.«
Sie gingen an der Mauer der Fassbinderei entlang. LeBreton schritt kräftig aus, und sie musste sich anstrengen, um mit ihm Schritt zu halten. »Sie haben ganz recht, vorsichtig zu sein«, erklärte sie. »Ich werde allein vorangehen. Sie warten mit …«
»Nein.«
Sie hatte noch nicht den Dreh heraus, wie man diesem Mann Befehle gab. Er war wie ein großer Felsbrocken, der einen steilen Hügel herunterrollt. Einmal in Bewegung, war es schwer, ihn wieder zum Stehen zu bringen. »Wenn es irgendwelche Probleme gibt, ist es vernünftiger, wenn ich …«
»Wenn es ein Problem gibt, dann schaut es gerade aus dem Fenster und weiß, dass ich hier bin.« Sie gingen durch das Tor der Werkstatt, wo Räder tiefe Furchen hinterlassen hatten. »Ihre Freunde haben einen weiten Blick nach draußen.«
Das war einer der Gründe, warum Alain dieses Haus mochte. Man konnte Besucher schon von Weitem kommen sehen.
Als LeBreton durch den Vorgarten ging, stürmten die Hühner in alle Richtungen davon. Die Läden vor den Fenstern waren geschlossen. An einem so warmen Nachmittag war das nicht weiter verwunderlich. Aber Bertille kam nicht zur Tür, um sie aufzureißen und ihr entgegenzustürzen.
Sie war wohl gerade dabei, das Baby ins Bett zu bringen. Darum war auch alles so ruhig. Gleich würde sie lachend herausgelaufen kommen.
LeBreton stapfte auf das Haus zu, und seine Stiefel polterten dabei auf dem mit Feldsteinen gepflasterten Weg. Laut. Er pochte an die Tür. Aber nur ein Mal. Sie sprang auf, ehe seine Faust noch einmal klopfen konnte.
Im Eingang stand ein Soldat in voller Montur. Die Mündung seiner Flinte wurde angehoben und zielte genau auf LeBreton.
Blaue Jacke, weiße Hosen, weiße Schultergurte, rote Aufschläge. Garde Nationale . Treu ergebene Revolutionäre aus Paris. Kein Gendarm aus dem Ort.
Ich habe uns ins Unglück geführt . Eisige Kälte breitete sich in ihrem Körper aus, und die Angst ließ ihr den Atem stocken.
Hinter dem Gardisten herrschte ein einziges Chaos. In Bertilles Kate war nichts mehr an seinem Platz. Überall waren zerbrochene Teller und umgestürzte Stühle zu sehen. Schwaden – wahrscheinlich von Mehl – hatten sich auf dem Steinboden verteilt und waren mit Fußabdrücken übersät. Bertille saß am dunklen Holztisch und hatte die Arme fest um den zweijährigen Charles geschlungen. Er saß auf ihrem Schoß und drückte das Gesicht in ihre weiße Schürze. Sie lebte. War unverletzt.
Ich habe ihr das angetan. Ich habe sie alle mit in die Gefahr hineingezogen. Ich habe sie nicht beschützt . Wo waren Alain und das Baby? Es gab einen Lehrburschen. Wo war der?
»Ohh …« LeBreton rieb sich den Nacken. Seine große, kräftige Gestalt wirkte plötzlich unbeholfen. Seine Miene war einfältig. Von einer Sekunde zur nächsten hatte er sich in einen verunsicherten Bauerntölpel verwandelt. »Das willst du nicht wirklich, Suzette.«
Sie hatte, ohne nachzudenken, einen Schritt nach vorn gemacht, um zu Bertille zu gehen. Die Flinte schwang zur Seite und richtete sich auf sie.
Suzette? Was für ein lächerlicher Name.
Der Gardist war jung und verängstigt und hatte den Finger am Abzug. Er würde LeBreton erschießen, wenn auch nur einer von ihnen – sie selber, Bertille, LeBreton – den kleinsten Fehler machte.
Sie musste
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