Die Dornen der Rose (German Edition)
durch die Tür. Er rührte sich nicht von der Stelle und stand so unverrückbar wie ein Fels.
Dieser Mann konnte sie nach Paris bringen. Mit ihm an ihrer Seite würde sie nicht nachts heimlich über Felder schleichen und wenig benutzte Wege nehmen müssen, um Dörfer zu meiden. Sie würde viel schneller vorankommen. Er könnte es sogar schaffen, sie durch die Stadttore von Paris zu schleusen.
Sie brauchte ihm noch nicht einmal zu trauen. Sie musste ihn einfach nur ausnutzen.
Und es war keiner da außer ihm. »Sie sind dafür bezahlt worden, dass Sie mich hierhergebracht haben. Ich gebe Ihnen noch mehr, wenn Sie mich ganz bis nach Paris mitnehmen. Zu meinem Vater.«
LeBreton hatte während der Befragung des Sergeanten kalt und bedrohlich gewirkt. Jetzt richtete sich seine unerbittliche Konzentration auf sie. Sie hatte das Gefühl, vermessen und gewogen, auseinandergenommen und untersucht zu werden. Er hatte in Bezug auf sie seine Schlüsse gezogen. Doch welche das waren, konnte sie an seinem Gesicht nicht ablesen.
Sie würde keine Angst vor ihm haben.
»Wie viel?«, fragte er.
Geld. Er dachte als Erstes ans Geld. Es war ein Vergnügen, mit einem Mann zu verhandeln, der so geradlinig war. Sie war kein bisschen enttäuscht, dass er keine Ritterlichkeit an den Tag legte. »Mein Vater wird Ihnen zwanzig Louis d’Or geben.«
»Hundert.«
»Das ist viel zu viel. Mein Vater schwimmt nicht in Geld.«
»Goldmünzen. Kein Papiergeld. Kein Silber.«
»Für so viel Geld könnten Sie Giraffen durch ganz Frankreich schleusen. Sie könnten …«
»Und ich nehme den Ring. Den, den Sie da am Finger haben. Den geben Sie mir und ich behalte ihn, bis ich bezahlt worden bin.«
»Sie verlangen einen hohen Preis …«
»Dafür bringe ich Sie zu Ihrem Vater.« Die Festigkeit, mit der er es sagte, überzeugte sie, und sie glaubte ihm, dass er es schaffen würde. Es war diese eiserne Entschlossenheit, die sie unabhängig davon, wer sie verfolgte, von hier nach Paris bringen würde.
Manchmal ist nur ein Wolf in der Lage, einen vor einem Rudel wilder Hunde zu schützen.
Sie musste den Ring hin- und herdrehen, um ihn abzuziehen. Sie trug ihn immer. Jahr für Jahr hatte sie mehr von ihrem Schmuck verkauft, um La Flèche zu finanzieren, diesen kleinen Ring jedoch nicht. Er bestand aus Gold, und es waren Blumen darauf eingraviert. Er hatte ihrer Mutter gehört, die bei ihrer Geburt gestorben war. Die Bilder von ihr zeigten eine hübsche Frau. Sie musste wohl auch sehr geduldig gewesen sein, denn sie war zehn Jahre mit Papa verheiratet gewesen, ohne ihn in dieser Zeit umzubringen. Man brauchte viel Geduld, um sich mit Männern abzugeben.
Endlich hatte sie den Ring abgezogen.
LeBreton ließ den Ring in die Tasche seiner Weste fallen. »Sie sollten ihn ohnehin nicht tragen.« Er drückte den Ring mit dem Zeigefinger tief in die Tasche. »Er passt nicht zu der Rolle, die Sie zu spielen versuchen.«
Bertille wusch Charles das Gesicht und ging dann nach draußen, um sich von ihren Blumen und Kühen zu verabschieden. Man hätte fast den Eindruck bekommen können, sie würde mindestens eine oder zwei Cousinen zurücklassen. Angesichts des Zustandes der Kate schnalzte sie missbilligend mit der Zunge, als sie ein letztes Mal nach einem auf unerklärliche Weise verschwundenen Silberlöffel suchte. LeBreton half Alain, seinen Amboss zu verladen. Bertille wusch dem Lehrjungen das Gesicht. Sie wusch das Baby. Dann wusch sie Charles das Gesicht noch einmal. Adrian fand Bertilles Nähzeug.
Dann ließ sich der Aufbruch nicht mehr länger hinauszögern. Bertille zog sie zwischen den Rosen im Garten beiseite. »Pass auf dich auf.«
»Ich bin der vorsichtigste Mensch der Welt. Das weißt du doch.«
»Ja, das sehe ich.« Bertille streckte die Hand aus und legte die Finger auf die Stelle, wo die Lippe schmerzte. »Kühl die Lippe mit einem feuchten Tuch. Dann wird sie nicht so dick.«
»Das ist ein guter Rat. Es tut mir leid, dass du dein Zuhause aufgeben musst …«
»Mach dir keine Vorwürfe, Marguerite. Wir wussten, dass das passieren könnte. Das Haus in Bernay steht schon bereit. La Flèche wird diese Sache überstehen. In einer Woche wird Krähe Richtung Osten ziehen, wo nicht gekämpft wird. Reiher hat seinen Unterschlupf schon vorbereitet. Und der Zaunkönig wird jetzt endlich nach England gehen. Du weißt, dass der Zaunkönig gut auf sich aufpassen kann.«
Vor vier Tagen war es der Zaunkönig gewesen, der sich um Mitternacht die
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