Die Dornen der Rose (German Edition)
ihre Freunde, wussten ihre Namen, kannten die Pfade und Zufluchtsorte von La Flèche. Man hatte sie auf ganzer Linie verraten.
Der Verrat kam aus Paris. Dort musste sie hin.
13
Marguerite lag nicht weit von Guillaume LeBreton entfernt auf dem Boden. Die Nacht war warm. Ein leichter Dunstschleier verhüllte das Sternenmeer. Der Mond war halb voll, schimmerte trüb und hatte unscharfe Ränder. Als sie den Kopf wandte, um auf das Land unterhalb des Hügels zu blicken, zeigte es sich schwarz und grau, dort wo sich das Mondlicht in den Gräben und einem kleinen Tümpel widerspiegelte, weiß.
Wenn man mich am Stadttor von Paris festnimmt, werde ich den nächsten Vollmond nicht mehr erleben.
Es war so warm, dass sie nicht den Wunsch verspürte, sich zuzudecken. Die Decken, die Bertille für den Kuhstall ausrangiert hatte, schützten von unten vor dem stacheligen Gras. Gegen Steine boten sie zwar keinen besonders guten Schutz, doch die größeren Exemplare hatte sie aufgesammelt und beiseite geworfen. Adrian brachte ihr ein Stoffbündel – saubere, zusammengerollte Männerhemden – als Kopfkissen.
Ihr Gesicht schmerzte nur wenig von der Ohrfeige, die ihr der Gardist verpasst hatte. Doch sie konnte nicht einschlafen. Heute Nacht waren ihre Gedanken recht ungehobelte Begleiter, die in ihrem Kopf lärmten und sie wach hielten.
Sie stand auf, schlüpfte in ihre Schuhe und überquerte die wenigen Meter zwischen ihren und Guillaumes Decken. Der Weg war wirklich kurz.
Er lag mit angezogenen Knien auf dem Rücken und hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Seine Stiefel hatte er ausgezogen, nachdem er den Hügel umrundet und die umliegenden Felder auf mögliche Gefahren hin untersucht und Adrian mit derselben Aufgabe betraut hatte. Die Stiefel standen ordentlich nebeneinander am Rande der Decken.
Er hatte seine Weste abgelegt und sein Hemd aus dem Hosenbund gezogen, sodass es ihn lang und locker umhüllte. Seine Füße waren ziemlich groß.
Sie schlüpfte aus ihren Schuhen, trat auf den kleinen Teil der Decke, den er nicht belegte, und ließ sich neben ihm nieder. Eine sehr intime Geste. So setzte sich eine Ehefrau im Garten zu ihrem Gatten, wenn es drinnen zu heiß war. So benahmen sich Verliebte. Das wusste sie, wenngleich sie nie so vertraut und entspannt mit Jean-Paul zusammengesessen hatte, als sie in jenen kurzen Monaten zwischen Kindheit und Trennung ein Liebespaar gewesen waren.
Sie würde wohl nie einen Ehemann haben und in einem gemütlichen Garten mit ihm zusammensitzen. Höchstwahrscheinlich würde man sie morgen aufgreifen, vors Tribunal in Paris stellen und verurteilen. Oder man würde sie an der barrière von Paris erkennen und verhaften. Dies war das einzige Mal, dass sie in den Genuss einer ganz besonderen Frucht kam … der Intimität.
LeBreton schien nichts gegen das Schweigen zu haben, das zwischen ihnen herrschte. Zwar konnte sie einzelne Teile seines Gesichts erkennen, jedoch nicht, was genau sie ausdrückten. Eine Weile saß sie da und starrte in die Nacht. »Ich habe noch nicht oft irgendwo auf einem Hügel gesessen und über Felder geblickt«, verriet sie ihm. »Ich komme mir ganz klein vor … so, als wäre ich kaum mit der Erde verhaftet. Als könnte ich jeden Moment abheben und davonschweben.«
»Das ist poetisch.«
»Zuweilen habe ich eine blühende Fantasie. Vielleicht kommt das daher, weil ich alte Geschichten der Landbevölkerung gesammelt habe. Ich interessiere mich für derartige Dinge und schreibe sie auf. Es kann aber auch daran liegen, dass ich viele Stunden meines Lebens damit verbracht habe, mir vorzustellen, ich wäre woanders.«
In Versailles, am Hofe des Königs, hatte sie monatelang in schönen, aber schweren und unbequemen Kleidern herumgestanden. Wie zur Schau gestellt. Weil sie eine de Fleurignac war. Es gab nichts Langweiligeres, als den ganzen Abend herumzustehen und kluge Dinge von sich zu geben. Die Hofdamen der Königin hatten gesagt: »Oh, kommt her. Kommt her, um Mademoiselle de Fleurignacs neueste Geschichte zu hören. Kommt und lauscht ihrer kleinen Geschichte aus der Normandie.« Sie sagten: »Sie ist ja so bezaubernd, so niedlich, ihre neue Geschichte.«
LeBreton rührte sich nicht. Sie konnte sehen, wie sich das Weiß seines Hemdes bei jedem Atemzug hob und senkte. »Durch den Brand des Châteaus haben Sie diese Geschichten verloren.«
»Sie sind auch von anderen niedergeschrieben worden. Viele von ihnen.«
Schweigen. »Trotzdem ist es schlimm,
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