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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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die schwartige Haut wirkte rötlich-roh. Was Stuart roch, während er noch in Richtung Süden blickte, war jener verlockende Geruch, den frisch geröstetes Schweinefleisch haben kann, vor allem wenn die Schwarte gleichsam ganz zart angebrutzelt worden ist. Aufgestört aus jener eigentümlichen Gemütslage, die sonst für ihn kennzeichnend war, drehte Stuart den Kopf, und ihm wollte scheinen, daß er diesen Flecken hier längst kannte, schon seit seiner Geburt: daß dieses Stückchen verkohlter Landschaft in sein Gehirn seit jeher wie eingemeißelt war.
    Als er das Gewehr heben wollte, fiel ihm ein, daß er es nicht wieder geladen hatte. Er verharrte sehr still. Und still stand auch der Keiler, die kleinen, geröteten Augen vor Schmerzen wie tollwütig, die mächtigen gelben und scharfen Hauer halbkreisförmig nach oben gebogen. Stuarts Pferd wieherte ängstlich, und der Keiler schob den massigen Schädel ein Stück herum und duckte ihn dann zum Angriff.
    Und jetzt, während die Aufmerksamkeit des Wildschweins auf das Pferd gerichtet war, sah Stuart seine einzige Chance. Er öffnete mit einem Ruck das Schloß seines Gewehrs, zog dann in aller Hast eine Patrone aus seiner Jackentasche. Doch der Keiler hatte das metallene Geräusch beim Aufreißen des Schlosses gehört, und er wechselte im letzten Augenblick seine Angriffsrichtung: vom Pferd zu Stuart. Das Wildschwein war nur noch ein ganz kurzes Stück von Stuart entfernt, als es ihm gelang, das neu geladene Gewehr noch abzufeuern und der Bestie einen Schuß direkt in die Brust zu jagen. Doch die Angriffswucht des Keilers verminderte sich dadurch nicht im geringsten. Und so stießen die scharfen, krummen Hauer hoch, und sie schwenkten auch seitwärts. Sie trafen Stuart in die Lenden. Er stürzte, Blut quoll, sprühte dann wie aus einem voll aufgedrehten Wasserhahn, durchnäßte die Kleidung, spritzte durch zerfetztes Tuch über den Boden.
    Der Keiler begann die Wirkung der Kugel zu spüren. Er schwankte leicht. Doch noch einmal wuchtete er auf sein Opfer los, durchbohrte es. Das Schwanken verstärkte sich, wurde zum Taumeln. Das Tier verlor alle Kraft, und der massige Körper mit seinem Gewicht von rund achthundert Kilo brach über Stuart zusammen und stauchte sein Gesicht in den teerähnlichen Schlamm. In einem wilden, vergeblichen Versuch, sich zu befreien, krallte er für einen Augenblick seine Hände zu beiden Seiten in den Boden. Dies also war es, was er schon immer gewußt hatte, weshalb er nie hoffte, nie träumte, nie plante, sondern nur saß und die lebende Welt so tief in sich einsaugte, daß keine Zeit dafür geblieben war, Trauer zu empfinden über das Schicksal, das ihn erwartete. Er dachte: Mum, Mum! Ich kann nicht bei dir bleiben, Mum! - und im selben Augenblick hörte sein Herz auf zu schlagen.
    »Ich möchte nur wissen, weshalb Stu nicht wieder geschossen hat«, sagte Meggie, während sie mit ihrer Mutter mühselig durch den Schlamm ritt in jene Richtung, aus der zweimal drei Schüsse gefallen waren. Sie wollten schneller vorankommen, konnten es nicht und waren beide in großer Unruhe.
    »Er wird sich sagen, daß wir die Schüsse bestimmt gehört haben«, erwiderte Fee, doch in ihrer Erinnerung zuckte ein Bild auf. Stuarts Lächeln, als sie sich vorhin getrennt hatten, um in verschiedene Richtungen zu reiten, seine plötzlich vorgestreckte Hand, die gleichsam nach seiner Mutter tastete. »Wir können nicht mehr weit von der Stelle entfernt sein«, sagte sie und versuchte, ihr Pferd zu einer schnelleren Gangart zu treiben.
    Doch Bob und auch Jack waren vor ihnen angekommen, und
    als sie die beiden Frauen sahen, kamen sie ihnen hastig ein Stück entgegen.
    »Geh nicht hin, Mum«, sagte Bob, als Fee absaß.
    Jack half Meggie aus dem Sattel.
    »Geh nicht hin, Meggie«, sagte auch er.
    Die grauen Augenpaare der beiden Frauen richteten sich auf die Männer, und weniger Verwirrung oder Bestürzung zeichnete sich darin ab als vielmehr Gewißheit.
    »Paddy?« fragte Fee mit einer Stimme, die nicht die ihre zu sein schien.
    »Ja. Und Stu.«
    Keiner der beiden Söhne vermochte es, Fee in die Augen zu sehen.
    »Stu? Stu! Was soll das heißen - Stu? Oh, mein Gott, was ist passiert? Doch nicht beide - nein!«
    »Daddy geriet in das Feuer, er ist tot. Stu muß ein Wildschwein aufgeschreckt haben, und es griff ihn an. Er feuerte einen Schuß auf das Tier ab, doch es stürzte schließlich mit seinem ganzen Gewicht auf ihn und begrub ihn unter sich, so daß er

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