Die Dornenvögel
immer jemanden gab, der sich im Notfall um sie kümmern konnte. Doch wenn er es recht bedachte, so hatte sie wohl fortgehen müssen, und solange sie mit diesem Luke O’Neill zusammen war, würde sie wohl auch nicht zurückkommen. Bob hatte davon gesprochen, daß sie Geld sparten, um sich später in Western Queensland eine Station zu kaufen. Das war eine Neuigkeit gewesen, die ihn wie ein Blitzschlag traf. Meggie wollte nicht mehr zurückkehren. Sie wollte - für ihn jedenfalls
- so gut wie tot sein.
Bist du wenigstens glücklich, Meggie? Ist er gut zu dir? Liebst du ihn, diesen Luke O’Neill? Was für ein Mann ist das, dem du dich - nach mir - zugewandt hast? Was hat dir an ihm, einem gewöhnlichen Viehtreiber, besser gefallen als an Enoch Davies oder Liam O’Rourke oder Alastair MacQueen? Ist es vielleicht das, daß ich ihn nicht kannte und also keine Vergleiche anstellen konnte? Warum quälst du mich so, Meggie? Um es mir heimzuzahlen? Aber weshalb sind da keine Kinder? Was ist mit dem Mann los, daß er wie ein Vagabund durch die Lande zieht, während du bei Freunden wohnen mußt? Kein Wunder, daß ihr keine Kinder habt. Meggie, warum? Warum hast du diesen Luke O’Neill geheiratet? Er ging zurück, stieg die Stufen der Akropolis wieder hinab. Sein Weg führte ihn durch die geschäftigen Straßen der Stadt. Bei der Evripidou-Straße verhielt er kurz. Hier war emsiges Volk, Händler wie Käufer, am Werk. Er sah riesige Körbe voll Kalamari und anderem Fischzeug, die in der Sonne durchdringende Gerüche verströmten. Gemüse und zierliche Pantöffelchen lagen Seite an Seite. Die Frauen amüsierten ihn. Völlig ungeniert klang ihr Gegurre, das ihm galt. Für sie war es durchaus nicht undenkbar, ihrer Bewunderung für einen Mann - in diesem Fall für ihn - offen Ausdruck zu geben. Hätte das einen sinnlichen Anstrich gehabt
- ein besserer Ausdruck wollte ihm dafür nicht einfallen -, so wäre er zweifellos höchst peinlich berührt gewesen. Doch er nahm die bewundernden Ausrufe als das, was sie waren: unumwundene Lobpreisung körperlicher Schönheit.
Das Hotel befand sich am Omonia-Platz: sehr luxuriös und sehr teuer. Erzbischof di Contini-Verchese saß in der Nähe seiner Balkonfenster, schien in stille Betrachtung versunken. Als Bischof de Bricassart eintrat, wandte er ihm lächelnd sein Gesicht zu. »Zur rechten Zeit, Ralph. Ich möchte gern beten.« »Ich nahm an, es sei soweit alles geregelt. Sind unversehens Komplikationen aufgetaucht, Euer Exzellenz?«
»Nichts dergleichen. Ich habe heute einen Brief von Kardinal Monteverdi erhalten, in dem er mir die guten Wünsche des Heiligen Vaters übermittelt.«
Bischof de Bricassart spürte, wie sich seine Schultermuskeln unwillkürlich spannten. In der Schläfengegend fühlte er ein eigentümliches Prickeln. »Erzählen Sie.«
»Sobald die Gespräche abgeschlossen sind - und sie sind abgeschlossen -, soll ich nach Rom reisen, wo man mich zum Kardinal machen wird. Und dort werde ich auch bleiben, um - direkt unter Seiner Heiligkeit - meine Arbeit fortzuführen.« »Und - ich?«
»Sie werden Erzbischof de Bricassart werden und nach Australien zurückkehren, um dort meine Nachfolge als Apostolischer Legat anzutreten.«
Das Prickeln in der Schläfengegend wurde zum glutheißen Stechen. In seinem Kopf wirbelte es wild. Ihm, dem NichtItaliener, wurde die Ehre zuteil, Apostolischer Legat zu werden! Das hatte es ja, zumindest in Australien, wohl noch nicht gegeben. Was für eine Ausgangsposition, um eines Tages vielleicht Kardinal de Bricassart zu sein! »Natürlich werden Sie erst Einweisung in Ihr neues Amt erhalten, und zwar in Rom, für etwa ein halbes Jahr. In dieser Zeit werde auch ich für Sie da sein, um Sie mit jenen bekannt zu machen, die meine Freunde sind. Solche Verbindungen dürften sich als vorteilhaft erweisen, denn eines Tages, Ralph, werde ich Sie nach Rom holen, damit Sie mir bei meiner Arbeit im Vatikan helfen.« »Euer Exzellenz - ich kann Ihnen gar nicht genug danken! Daß ich diese große Chance erhalte, dafür haben doch Sie gesorgt, oder?« »Nun, Ralph, möge es der Herr geben, daß ich intelligent genug bin und bleibe, um zu erkennen, wann man einen Mann nicht länger im Verborgenen lassen darf. Und jetzt wollen wir niederknien und beten. Gott ist sehr gut!«
Ralphs Rosenkranz und sein Meßbuch lagen in der Nähe auf einem Tisch, dicht nebeneinander. Seine zitternde Hand griff nach dem Rosenkranz, stieß dabei das Meßbuch von der
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