Die Dornenvögel
das auch dort versichern, davon bin ich überzeugt. Hier, Khengsee, mein Schatz! Was für ein reizendes Mädchen du doch bist!« Er setzte die Katze auf seinen scharlachroten Schoß, streichelte sie.
»Ein außergewöhnliches Tier, Euer Eminenz.«
»Eine Aristokratin. Sowohl der Erzbischof, als auch ich selbst sind die Träger alter, erlauchter Namen, doch verglichen mit ihrem Stammbaum sind unsere wie nichts. Gefällt Ihnen der Name? Es ist das chinesische Wort für Seidenblume. Sehr passend, nicht wahr?« Der Tee war gekommen, alles wurde bereitgestellt. Die drei Männer schwiegen, bis die Laienschwester den Raum wieder verlassen hatte. »Sie würden den Entschluß, Rom zur offenen Stadt zu erklären, bestimmt nicht zu bereuen haben, Exzellenz«, sagte Erzbischof de Bricassart mit einem schmelzenden Lächeln. Doch als er dann zum Kardinal blickte, fiel es gleichsam von ihm ab: diesem geliebten Freund gegenüber bedurfte es keiner Maske. »Wollen Euer Eminenz die Mutter sein, oder habe ich die Ehre?« »Mutter?« fragte Kesselring verblüfft.
Kardinal di Contini-Verchese lachte. »Das ist ein kleiner Scherz bei uns Männern, die wir im Zölibat leben. Wer den Tee einschenkt, wird >Mutter< genannt - oder eigentlich >Mother<. Denn es handelt sich um eine englische Ausdrucksweise.«
In der Nacht fand Erzbischof de Bricassart keine Ruhe. Dieser Krieg mußte ein Ende haben, ein möglichst rasches Ende. Doch was trug er, Ralph de Bricassart, eigentlich dazu bei? Nichts, wie es schien. Außer daß er vielleicht mithalf, alte Kunstwerke zu erhalten. Diese entsetzliche Passivität im Vatikan, sie war ihm zutiefst zuwider. Obschon seinem Wesen nach konservativ, empfand er die schneckengleiche Vorsicht jener in den höchsten Kirchenämtern schier unerträglich. Sah man von den einfachen Nonnen und Priestern ab, die hier dienende Funktionen hatten, so war es ihm schon seit Wochen nicht mehr vergönnt gewesen, mit einem einfachen Menschen zu sprechen: mit jemandem, den keine persönlichen Interessen politischer, militärischer oder auch geistlicher Art leiteten. Irgendwie fiel es ihm auch schwerer als sonst, sich ins Gebet zu versenken. Gott schien viele, sehr viele Lichtjahre entfernt zu sein: als habe ER sich ganz zurückgezogen und überlasse es SEINEN menschlichen Geschöpfen, die von IHM erschaffene Welt zu zerstören. Was mir jetzt fehlt, dachte er, ist eine kräftige Dosis Meggie und Fee. Oder eine kräftige Dosis von sonst jemandem, den das Schicksal des Vatikans oder der Stadt Rom nicht weiter interessiert. Er stieg die private Treppe zur großen Basilika von St. Peter hinab: Zufällig oder auch nicht so zufällig hatten ihn seine Schritte dorthin geführt. In dieser Zeit wurden die Türen stets bei Einbruch der Dunkelheit abgeschlossen, ein deutliches Zeichen für die beklommene Ruhe, die über Rom lag, unverkennbarer noch in seiner Bedeutung als selbst die Kompanien feldgrau gekleideter deutscher Soldaten, die durch die Straßen Roms marschierten. Ein schwaches, gespenstisches Schimmern erhellte die leere, wie gähnende Apsis. Hohl hallten vom Steinboden die Schritte des Erzbischofs wider, und dieser Klang schien einzuschmelzen in die Stille, als er vor dem Hochaltar das Knie beugte, bevor er weiterging. Und dann, zwischen dem Takt zweier Schritte, hörte er ein Atmen, sehr deutlich, fast wie ein Keuchen. Sofort knipste er die Taschenlampe an, die er in der Hand hielt, und richtete den Lichtstrahl auf die betreffende Stelle, weniger erschrocken als neugierig. Denn dies war seine Welt, hier fühlte er sich durchaus sicher. Der Lichtkegel fiel auf jene Skulptur, die in den Augen des Erzbischofs die schönste war, welche ein Mensch je geschaffen hatte: die Pieta des Michelangelo. Doch in unmittelbarer Nähe des Kunstwerks erkannte er ein Gesicht, das keinesfalls aus Marmor war - ein Gesicht aus Fleisch und Blut, jetzt voller Schatten, totengleich. »Ciao«, sagte der Erzbischof mit einem Lächeln. Er erhielt keine Antwort, doch die Kleidung verriet ihm, daß es sich um einen einfachen deutschen Infanteristen handelte: Der einfache Mann, der einfache Mensch, den er jetzt brauchte, hier stand er also! Daß es ein Deutscher war, spielte keine Rolle. »Wie geht’s?« fragte er, noch immer lächelnd, auf deutsch. Plötzlich sah er, daß auf der breiten Stirn des Soldaten Schweiß glänzte.
»Bist du krank?« fragte er den jungen Burschen. Nach Sekunden kam die Antwort: »Nein.«
Der Erzbischof legte seine Taschenlampe
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