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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Und die zwei oder drei, von denen er weiter oben erwischt worden ist, scheinen in den Beckenknochen oder in die Muskeln dort gedrungen zu sein. Soweit ich das beurteilen kann, haben seine Därme nichts abbekommen und die Blase auch nicht. Das einzige ...« »Was? Was denn?« drängte Jims, als der Arzt nicht gleich weitersprach. Er zitterte noch immer, und seine Lippen wirkten blau. »Nun, in diesem Stadium ist es natürlich schwer, irgend etwas mit Sicherheit festzustellen, und so ein Chirurgengenie wie manche von den Ärzten in Port Moresby bin ich ohnehin nicht. Die werden Ihnen eine Menge mehr sagen können. Aber jedenfalls hat die Harnröhre etwas abbekommen. Ich bin ziemlich sicher, daß man ihn so zusammenflicken kann, daß er wieder wie neu ist - von den Nerven allerdings vielleicht abgesehen.« Er räusperte sich. »Was ich zu sagen versuche, ist - also womöglich wird er in der Genitalgegend nie wieder viel verspüren.«
    Jims blickte zu Boden. Es war, als ob er durch eine Kristallwand von Tränen starrte. »Wenigstens lebt er«, sagte er.
    Patsy wurde nach Port Moresby geflogen, und Jims durfte seinen Bruder begleiten und bei ihm bleiben, bis er sich außer Gefahr befand. Die Art der Verletzungen kam in der Tat fast einem Wunder gleich. Einen eigentlichen Bauchschuß hatte Patsy trotz der vielen Kugeln, von denen er getroffen worden war, nicht erhalten. Im unteren Beckenbereich war das Empfindungsvermögen stark beeinträchtigt.
    »Spielt keine große Rolle«, erklärte Patsy, als er auf der Krankenbahre lag, auf der er zum Flugzeug nach Sydney gebracht werden sollte. »War sowieso nie wild aufs Heiraten. Und du, Jims, paß ja gut auf dich auf, hörst du?«
    »Nur keine Sorge, Patsy, ich pass’ schon gut auf mich auf.« Jims grinste, seine Finger hielten die Hand seines Bruders krampfhaft umklammert. »Komisch, wenn ich mir vorstelle, daß ich den Rest des Krieges ohne meinen besten Kumpel hinter mich bringen muß. Na, ich werde dir schreiben und berichten, wie das ist. Grüße alle schön von mir, ja? Mrs. Smith und Meggie und Mum und die Brüder, na, und eben alle. Hast ja auch irgendwie Schwein, daß du nach Drogheda zurückkannst.«
    Fee und Mrs. Smith flogen nach Sydney, um zur Stelle zu sein, wenn Patsy mit dem Flugzeug kam. Fee blieb nur ein paar Tage, doch Mrs. Smith nahm sich ein Zimmer in einem Randwick-Hotel dicht beim Prince-of-Wales-Lazarett.
    Dort mußte Patsy drei Monate bleiben. Für ihn war der Krieg zu Ende. Mrs. Smith hatte viele Tränen vergossen, aber es gab auch viel, wofür man dankbar sein konnte. In einer Beziehung würde er nie ein vollwertiges Leben führen können, alles andere hingegen konnte er tun: gehen, rennen, reiten. Was die Fortpflanzung betraf, so schienen die Cleary-Männer ohnehin nicht viel davon zu halten. Als er aus dem Lazarett entlassen wurde, fuhr Meggie mit dem Rolls nach Gilly, und sie und Mrs. Smith betteten Patsy auf den Rücksitz, zwischen Wolldecken und Illustrierten. Und beide Frauen beteten insgeheim darum, daß sich der Himmel noch ein zweites Mal gnädig erweisen möge: indem er auch Jims endlich nach Drogheda kommen ließ.
     

16
     
     
     
    Erst als der Beauftragte des Kaisers Hirohito die Kapitulationsurkunde unterschrieb, glaubte man in Gillanbone, daß der Krieg endlich vorüber sei. Die Nachricht kam am Sonntag, dem 2. September 1945, fast auf den Tag genau sechs Jahre nach Kriegsausbruch. Sechs qualvolle Jahre. Jahre, die viele unersetzliche Verluste gebracht hatten: Dominic O’Rourkes Sohn Rory, Horry Hopetons Sohn John, Eden Carmichaels Sohn Cormac. Ross MacQueens jüngster Sohn Angus würde nie wieder gehen können, Anthony Kings Sohn David würde zwar gehen können, jedoch niemals mehr sehen, wohin er ging; und Paddy Clearys Sohn Patsy würde keine
    Kinder haben können. Viele gab es, deren Wunden man nicht sah, doch ihre Narben waren genauso tief. Junge Männer, die vor Jahren lachend auszogen, kehrten zurück, und sie lachten auch jetzt noch, doch viel seltener, zu selten. Niemand hatte damals geahnt, daß der Krieg so lange dauern und so viele Opfer fordern würde. Es hätte sich kaum behaupten lassen, daß die Menschen im Gillanbone-Distrikt besonders abergläubisch waren, doch selbst die abgebrühtesten Zyniker beschlich an diesem 2. September ein eigentümliches Gefühl. Denn am selben Tag, an dem der Krieg endete, endete auch die längste Dürreperiode in der Geschichte Australiens. Seit nahezu zehn Jahren war kein Regen mehr

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