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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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erinnerte. Es besaß die gleiche Tönung, ein verblichenes Beige oder Braun, und es war so lang, wie das Drogheda-Gras nach schweren Regenfällen zu sein pflegte. »Wird jetzt nicht mehr lange dauern, bis wir wieder daheim sind, Patsy«, sagte Jims. »Die Japse haben wir jetzt am Laufen und die Teutonen auch. Nach Hause, Patsy, zurück nach Drogheda! Ich kann’s gar nicht erwarten.« »Jaa«, sagte Patsy.
    Sie gingen Seite an Seite, viel dichter nebeneinander, als
    Männer das sonst zu tun pflegen. Manchmal berührten sie einander, nicht bewußt, sondern so, wie man seinen eigenen Körper berührt, weil es irgendwo juckt, oder ganz einfach in Gedanken. Und immer wieder kehrten sie ihre Gesichter der Sonne zu, die an diesem Tag wirklich eine Sonne war und nicht nur so etwas wie eine Riesenmottenkugel in einem Türkischen Bad. Mit geblähten Nasenflügeln sogen sie die Luft in sich ein und den Duft, oder nein: das heiße Licht auf dem Drogheda- ähnlichen Gras. Und ein bißchen träumten sie davon, daß sie bereits wieder daheim waren und Seite an Seite einem Wilga- Baum zustrebten, um in seinem Schatten die höllische Mittagshitze zu überstehen, vielleicht zu lesen, vielleicht zu dösen. Im Wilga-Schatten. Herrlich lang konnte man sich dort machen, konnte auf der Haut, durch die Haut hindurch die freundliche, schöne Erde spüren, konnte irgendwo da unten in der Tiefe einen kraftvollen Herzschlag ahnen, wie das beruhigende Pochen eines mütterlichen Herzens für ein schlafendes Baby. »Jims! Sieh nur! Ein echter Drogheda- Wellensittich!« sagte Patsy, und seine maßlose Verblüffung verriet sich durch das, was bei ihm schon Redseligkeit war.
    Die Wellensittiche mochten hier um Lae genauso heimisch sein wie auf Drogheda, aber diese Frage stellte Patsy sich nicht. Für ihn war das eine unerwartete Erinnerung an die Heimat, und sie löste überschäumende Freude in ihm aus. Lachend jagte er hinter dem Wellensittich her, und während das hohe Gras seine bloßen Beine kitzelte, riß er sich den Slouch-Hut vom Kopf und schwenkte ihn, als hoffte er im Ernst, den flüchtigen Vogel darin zu fangen. Jims war stehengeblieben. Lächelnd beobachtete er seinen Bruder. Patsy mochte etwa zwanzig Meter gerannt sein, als plötzlich ein Feuerstoß aus einem Maschinengewehr das Gras rings um ihn in Fetzen riß. Jims sah, wie er die Arme hochschleuderte und sich dann um die eigene Körperachse drehte. Von den Hüften bis zu den Knien war er voll Blut.
    »Patsy, Patsy!« schrie Jims, und er glaubte, die Kugeln im eigenen Leib zu spüren, zu fühlen, wie auch sein Blut in pulsierenden Stößen aus seinem Körper quoll, wie er starb.
    In weiten Sätzen wollte er zu seinem Bruder laufen, nein, jagen, hatte schon jeden Muskel gespannt. Doch jener Instinkt, jener geschulte und immer wieder erprobte Instinkt, der ihn bis jetzt hatte überleben lassen, gewann in ihm die Oberhand. Kopf voraus, tauchte er hinab ins Gras, und im selben Augenblick ratterte wieder das Maschinengewehr los.
    »Patsy, Patsy, alles in Ordnung?« rief er, eine Frage, die ebenso töricht klang, wie sie beschwörend gemeint war. Und so unglaublich es schien, es kam eine schwache, doch vernehmliche Antwort: »Jaa.«
    Jims robbte voran, unendlich langsam, Zentimeter für Zentimeter, die Bewegung der Grashalme durfte ihn nicht verraten. Als er seinen Bruder erreichte, legte er Patsy erst die Hand, dann den Kopf auf die nackte Schulter und weinte. »Hör auf«, sagte Patsy. »Ich bin noch nicht tot.« »Wie schlimm ist es denn?« fragte Jims und zog ihm vorsichtig die blutdurchtränkten Shorts herunter und sah das blutbedeckte Fleisch. »Fühlt sich jedenfalls nicht so, als ob ich sterben würde.« Jetzt tauchten in der Nähe ihre Kameraden auf. Manche trugen noch die Beinschützer und die Handschuhe vom Kricketspiel. Irgend jemand verschwand wieder, um für eine Tragbahre zu sorgen. Währenddessen gingen die übrigen daran, das Maschinengewehr zum Schweigen zu bringen, und sie taten es nicht mit der sonstigen Kaltblütigkeit und Gelassenheit. Jeder mochte Harpo, und jeder wußte auch, was der Verlust seines Bruders für Jims bedeuten würde. Ein wirklich wunderschöner Tag. Der Wellensittich war längst verschwunden, doch viele andere Vögel sangen und zwitscherten um die Wette.
    »Patsy hat bei allem noch verdammt viel Glück gehabt«, sagte der Militärarzt etwas später zu Jims. »Er muß so ein
    Dutzend Kugeln im Körper haben. Doch die meisten sitzen in den Schenkeln.

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