Die Dornenvögel
Bühnenkarriere. Auch da ist also nichts zu erhoffen.«
»Du findest das alles irgendwie sonderbar?« fragte Anne. »Nun, ich weniger. Daß das so ist, erscheint mir insgesamt recht plausibel. Nimm deine Brüder. Was ließ sich da schon, hier auf Drogheda, von ihnen erwarten? Sie leben abseits von allem, sind scheu wie die Känguruhs und haben nie die Mädchen kennengelernt, die sie vielleicht hätten heiraten können. Bei Jims und Patsy ist die Hauptursache der Krieg. Kannst du dir vorstellen, daß Jims heiratet, wo er weiß, daß das für Patsy nicht in Frage kommt? Dazu empfinden die Zwillinge zuviel für- und miteinander. Im übrigen fordert das Land von allen Männern praktisch die ganze Kraft, und mir scheint, daß sie’s im Übermaß ohnehin nicht haben. Dieses Körperliche, wenn du verstehst, was ich meine. Ist dir der Gedanke noch nie gekommen, Meggie? Sex ist in deiner Familie nicht gerade etwas von großer Bedeutung, um es sehr direkt zu sagen. Und das gilt auch für Dane und Justine. Ich meine, es gibt Menschen, die dem Sex geradezu besessen nachjagen. Das ist bei euch nun wirklich nicht der Fall. Aber vielleicht heiratet Justine ja noch. Da ist doch Rainer, dieser Deutsche, den sie so schrecklich gern hat.« »Da hast du den Nagel auf den Kopf getroffen«, sagte Meggie. »Sie scheint ihn schrecklich gern zu haben. Mehr aber auch nicht. Schließlich kennt sie ihn seit sieben Jahren. Wenn sie ihn hätte heiraten wollen, so wäre das schon längst geschehen.« »So? Nun, ich kenne Justine ziemlich gut. Justine ist ein Mädchen, das schon der Schrecken packt beim Gedanken an die inneren Verpflichtungen, die eine Liebesheirat mit sich bringen würde. Ich muß sagen, daß ich Rainer bewundere. Er scheint sie sehr gut zu verstehen. Wie groß seine Liebe für sie ist, weiß ich zwar nicht, aber er ist doch auf jeden Fall klug genug, zu warten, bis sie von sich aus bereit ist, den Sprung zu wagen.« Anne beugte sich ein wenig vor, lauschte. »Hör doch nur, dieser Vogel! Ich bin sicher, nicht einmal eine Nachtigall kann schöner singen.« Und dann sagte sie, was sie schon seit Wochen sagen wollte. »Meggie, warum willst du nicht nach Rom, um dabeizusein, wenn Dane zum Priester geweiht wird?« »Ich fahre nicht nach Rom!« entfuhr es Meggie. Sie preßte die Zähne aufeinander. »Ich will nie wieder von Drogheda fort.« »Aber, Meggie, das geht doch nicht! Du kannst ihn doch nicht so enttäuschen! Fahr nach Rom! Wenn du’s nicht tust, ist keine von uns Frauen dabei. Wir anderen sind alle zu alt, um die Strapazen der Reise auf uns zu nehmen. Du bist als einzige noch jung genug. Ich sage dir, wäre ich sicher, daß ich es körperlich durchstehen könnte, nichts würde mich zurückhalten können.«
»Nach Rom reisen und Ralph de Bricassarts zufriedenes Lächeln sehen? Lieber wäre ich tot!«
»Oh, Meggie, Meggie! Warum kehrt sich dein Groll gegen ihn und gegen deinen Sohn? Hast du nicht selbst einmal gesagt, es sei deine eigene Schuld? Laß also allen falschen Stolz und reise nach Rom. Bitte!«
»Stolz? Das ist gar nicht das entscheidende. Oh, Anne, ich habe Angst, nach Rom zu reisen! Denn ich glaube es nicht, ich glaube es einfach nicht! Mich überkommt ein Frösteln, wenn ich nur daran denke.«
»Und was ist, wenn er nach der Priesterweihe gar nicht nach Australien zurückkehrt? Hast du daran schon gedacht? Mit so ausgedehnten Ferien wie auf dem Seminar ist es für ihn dann vorbei. Und falls er sich entscheidet, in Rom zu bleiben, so wirst du wohl zu ihm müssen, wenn du ihn überhaupt wiedersehen willst. Fahr hin, Meggie!«
»Ich kann nicht. Wenn du nur wüßtest, wie groß meine Angst ist! Stolz oder falscher Stolz? Nein, das ist es wirklich nicht. Und wenn ich gesagt habe, ich könnte Ralphs zufriedenes Lächeln nicht sehen, so war das so hingesagt, um möglichst weitere Fragen abzuwehren. In Wahrheit sehne ich mich so sehr nach meinen beiden Männern, daß ich auf den Knien zu ihnen kriechen würde, wenn ich das Gefühl hätte, sie wollten mich. Oh, Dane würde sich schon freuen, mich wiederzusehen. Aber Ralph? Er hat vergessen, daß ich je existiert habe. Ich fürchte mich, ich sag’s dir. Irgend etwas in mir weiß, daß etwas passieren wird, wenn ich nach Rom reise. Also reise ich nicht.« »Ja, um Himmels willen, was sollte denn passieren?« »Das weiß ich nicht... Wenn ich’s wüßte, hätte ich ja etwas, wogegen ich mich wappnen könnte. Aber es ist so ein Instinkt, eine böse Vorahnung. Als ob
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