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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Winde biegende und wiegende Getreide. Nur ganz selten gab es Gruppen dünner, dürrer Bäume mit blauen Blättern und graues, wie totes oder doch völlig erschlafftes Buschwerk. In Fees stoischem Blick ließ sich keine Reaktion ablesen, doch in Meggies Augen stand ein tiefer Schrecken: Es war so furchtbar - alles so riesig weit, nirgends ein Zaun, und vor allem: nirgends eine Spur von Grün. Aus der bitterkalten Nacht fuhren sie jetzt gleichsam immer weiter hinein in den glühenden, sengenden Tag, während die Sonne höher und höher stieg, ihrem Zenit entgegen. Und der Zug ratterte und ratterte und ratterte; und hielt ab und zu in irgendeiner winzigen Stadt, die voller Fahrräder und Pferdefuhrwerke war. Autos schien es hier nur wenige zu geben. Paddy öffnete die beiden Fenster, so weit es nur ging, obwohl nun Ruß hereinwirbelte und sich auf alles legte. Es war so heiß, daß sie keuchten. Ihre Kleidung klebte ihnen auf der juckenden Haut. Unvorstellbar, daß es irgendwo im Winter so heiß sein konnte.
    Als die Sonne schon sehr tief stand, tauchte endlich Gillanbone auf: eine sonderbare Ansammlung baufällig wirkender Holz- und Wellblechgebäude zu beiden Seiten einer breiten, staubigen Straße ohne Bäume. Die scheidende Sonne schien ihr schmelzendes Gold wie eine feste Schicht über alles und jedes verströmt zu haben, was der Stadt einen eigentümlichen Anstrich von Erhabenheit verlieh. Doch war es damit nur allzuschnell vorbei. Als die Clearys ausgestiegen waren und auf dem Bahnsteig standen, hatte sich der flüchtige Zauber bereits verloren, und Gillanbone war nichts als bloß eine allzu typische Siedlung ganz am Rande der Welt, gleichsam ein letzter Vorposten im Grenzgebiet noch fallender Niederschläge. Ein Stück weiter westlich begannen die dreitausend Kilometer des Niemals-Niemals - jenes wüstenartigen Landes, wo es nicht regnen konnte.
    Ganz in der Nähe des Bahnhofs sahen die Clearys ein schwarzes Prachtauto stehen, doch noch erstaunlicher wirkte in dieser Umgebung die Gestalt, die durch den zentimeterhohen Staub auf sie zuschritt: ein Priester, der in seiner Soutane wie ein Geschöpf der Vergangenheit erschien - man hätte meinen können, er bewege seine Füße nicht wie ein gewöhnlicher Sterblicher, sondern schwebe oder treibe traumgleich dahin. Staub hob sich, rötlich durchschimmert von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne; ein watteweiches, wolkenartiges Gebilde.
    »Hallo, ich bin Pater de Bricassart«, sagte er und reichte Paddy die Hand. »Sie müssen Marys Bruder sein, Sie sind ihr wie aus dem Gesicht geschnitten.« Er wandte sich Fee zu, hob ihre schlaffe Hand an seine Lippen und lächelte erstaunt. An Paddys Seite eine Frau wie sie zu finden! Nein, nicht eine Frau
    - eine Dame: Für so etwas besaß Pater Ralph ein untrügliches Gespür.
    »Sie sind schön, wirklich schön«, sagte er, als sei eine solche Bemerkung für einen Priester die normalste Sache auf der Welt. Dann blickte er zu den Jungen, die in einer Gruppe zusammenstanden. Als er Frank sah, stutzte er kurz. Sein Blick glitt weiter, von Gesicht zu Gesicht. Meggie, die hinter ihren Brüdern ganz für sich stand, starrte den Priester aus großen Augen und mit offenem Mund an, wie einen Gott. Er ging an den Jungen vorbei, beugte sich zu ihr, hielt ihre Schultern mit festem und doch zartem Griff zwischen seinen Händen. »Nun, und wer bist du?« fragte er mit einem Lächeln.
    »Meggie«, erwiderte sie.
    »Sie heißt Meghann«, erklärte Frank mit gerunzelter Stirn. Er haßte diesen Mann, der so schön war und so hochgewachsen. »Mein Lieblingsname - Meghann«, versicherte der Priester. Er richtete sich wieder auf, hielt Meggies Hand noch in der seinen. »Es wird das beste sein, wenn die Familie heute im Pfarrhaus übernachtet«, sagte er, während er Meggie zum Auto führte. »Morgen früh werde ich euch nach Drogheda hinausfahren. Nach der langen Reise von Sydney wäre das jetzt zu weit.«
    Steinhäuser gab es in Gillanbone kaum. Zu den wenigen gehörten unter anderem das Hotel Imperial, die katholische Schule sowie die katholische Kirche und das Pfarrhaus. Die öffentliche Schule hingegen war nur eine Art Fachwerkbau. Nach Einbruch der Dunkelheit wurde es sehr schnell unglaublich kalt, doch im Wohnzimmerkamin des Pfarrhauses prasselte ein gewaltiges Feuer, und von irgendwoher zogen verlockende Gerüche herbei, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen. Die Haushälterin, eine runzlige alte
    Schottin mit

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