Die Drachenflotte (German Edition)
einer Safari in Kenia im vergangenen Jahr, als so ein Schwachkopf aus Südafrika sie mit seinen vielen Narben beeindrucken wollte, hatte sie mit ihrer Schultergeschichte dagegengehalten. Er hatte nur darüber gelacht. Verrenkungen gälten nicht. Er könne gar nicht mehr zählen, wie oft er sich schon die Schulter verrenkt habe: Er habe sie dann einfach gegen den nächsten Baum gerammt. Wenn ein großmäuliger Reiseführer das konnte, dachte Rebecca, konnte sie es auch. Sie hielt den Oberarmkopf so dicht wie möglich an die Stelle, wo ihrer Vorstellung nach die Pfanne saß, und warf sich dann mit Wucht gegen den vorderen Kotflügel des Jeeps. Einen Moment blieb sie schreiend vor Schmerz und Verzweiflung über den gescheiterten Versuch liegen. Dann richtete sie sich wieder auf, wischte die Tränen ab, biss die Zähne zusammen und versuchte es noch einmal, mit noch mehr Wucht. Der Schmerz war so fürchterlich und so anhaltend, dass sie nicht mehr aufhören konnte zu schreien, wenn auch nach einer Weile nicht mehr vor Schmerz, sondern vor allem vor Zorn. Es würde nicht klappen. So etwas sagte einem der eigene Körper, man brauchte nur hinzuhören. Als Zoologin hatte sie eine Ahnung von den Grundlagen der Anatomie. Die Schulter war kein typisches Kugelgelenk, sie musste einen großen Bewegungsumfang ermöglichen. Der Oberarmkopf saß deshalb, ähnlich wie ein Ei im Eierbecher, nur teilweise in der Schulterpfanne und wurde von Muskeln, Sehnen und Bändern gehalten. Dadurch kam es einerseits häufiger zu Luxationen, die aber andererseits auch leichter zu beheben waren. Bei der Reposition kam es auf das richtige Zusammenspiel von Winkeln, Drehmoment und Zugkraft an. Der Südafrikaner war ein Großmaul gewesen, aber kein Lügner.
Die Tragegurte von Mustafas Leinentasche hatten an beiden Enden abnehmbare Metallschließen. Sie löste sie mit den Zähnen und ihrer gesunden rechten Hand und schnallte sie zu einem langen Band zusammen, während die Muskeln ihrer linken Schulter schon zu zucken und zu krampfen begannen. In zehn Minuten würde es zu spät sein. Sie versuchte, sich nicht von Panik hetzen zu lassen. Nachdem sie an beiden Enden Laufknoten gemacht hatte, zog sie eine Schlinge um ihr linkes Handgelenk fest und die zweite um ihren linken Fuß. Dann stellte sie sich gerade hin und hob das linke Bein, bis das Band sich straffte, aber nicht mehr. Zufrieden drückte sie nun mit dem Fuß gleichzeitig abwärts und nach außen, sodass Handgelenk, Arm und Schulter nach vorn gezogen wurden. Sie spürte, wie der Gelenkkopf näher und näher zur Pfanne rutschte, aber es war noch ein Schlag von der Seite nötig, um ihn an seinen Platz zu befördern. Sie schloss die Augen und ließ sich seitwärts zu Boden fallen, genau auf die Schulter. Einen fürchterlichen Moment lang glaubte sie, sie würde umkommen vor Schmerzen, aber dann fügte sich alles sauber ineinander, und es war herrlich – wie das Aufplatzen eines Zahnabszesses, wie ein Orgasmus, wie ein Heroinschuss, es gab keine Wonne, die der überwältigenden Erleichterung nach unerträglichen Schmerzen nahekam, so wunderbar, so –
Die Euphorie ließ schnell nach. Ihre Schulter begann dumpf zu schmerzen. Sie erinnerte sich, dass das Leben Adams und Emilias von ihr abhing. Sie hatte sich ungeheuer verspätet, aber sie hatte das Geld noch, und sie dachte nicht daran aufzugeben. Der Jeep war nicht mehr zu gebrauchen, sie musste sich zu Fuß zur Straße durchschlagen und ein Auto anhalten. Die Tasche mit dem Geld als Schutzschild vor der Brust, kämpfte sie sich durch das Unterholz und kam gut voran, bis sie bemerkte, dass vor ihr sich etwas bewegte, nur teilweise erkennbar zwischen den Bäumen und Büschen. Andriamas Bemerkung über böse Menschen, die von dem Lösegeld wussten, fiel ihr ein. Sie hielt den Atem an und duckte sich. Vorsichtig legte sie die Tasche nieder, griff nach einem langen, scharfen Stein und wappnete sich zum Schlag.
III
Das letzte GPS-Signal war von einem bewaldeten Hügel abseits der Straße nach Ilakaka eingegangen. Knox kam an einem Feldweg vorüber, der ihm der richtige zu sein schien, aber er hielt nicht gleich an, weil er fürchtete, der Weg würde beobachtet. Dann aber sah er dünne Rauchfäden vom Hügelhang aufsteigen und fürchtete plötzlich, es wäre schon zu spät. Er kehrte um und fuhr zurück, versteckte sein Motorrad zwischen den Bäumen und lief zu Fuß weiter, immer dicht am Waldrand, um jederzeit Deckung suchen zu können, falls jemand
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