Die Drachenflotte (German Edition)
Augenblick gekommen war, wusste Knox nicht recht, wie er anfangen sollte. «Ist das Emilias Sohn?», fragte er.
«Ja», antwortete sie misstrauisch.
«Er ist also Pierres Kind?»
Therese antwortete nicht gleich, sondern blickte ihm ins Gesicht, als wollte sie erkunden, was er wusste, was er vorhatte. «Wer sind Sie?», fragte sie dann. «Warum fragen Sie mich das?»
«Ich kenne Emilia», erklärte er. «Wir sind einander nahegekommen, als sie in England war. Sehr nahe. Vielleicht hat sie von mir gesprochen?»
Thereses Augen wurden ein wenig feucht, aber vor Freude. «Sie müssen es sein», sagte sie. «Als Rebecca mir sagt, dass dieser Engländer hier, mit Narben auf dem Rücken …»
«Ja, der bin ich.» Er wies mit einer Kopfbewegung auf Michel. «Er ist also mein Sohn?»
Sie schien zu zögern, als fühlte sie sich immer noch an ein Versprechen gebunden. Dann schien sie zu erkennen, dass das jetzt nicht mehr galt. «Ja», sagte sie. «Er ist Ihr Sohn.» Sie hielt Knox das Kind entgegen, und er empfing es mit beiden Händen und hielt es ein wenig verlegen hoch, geradeso als hätte man ihm soeben einen unverdienten Preis überreicht. Therese redete wie ein Wasserfall. Er verstand kein Wort, zu sehr war er von diesen großen braunen Augen gefesselt. Michel zog das Gesicht zusammen, als wollte er weinen, aber dann öffnete er weit die Augen und richtete seinen Blick in die Ferne, wie leicht verwundert über irgendeine Unstimmigkeit in der Welt. Knox sah seine Schwester in ihm und dann auch seinen Vater. Und in diesem Moment, als er sich seiner Verantwortung für Michel stellte, zerfiel all das tote Gewebe um sein Herz und war wie fortgeblasen, und das, was zurückblieb, konnte wieder frei atmen. Er erinnerte sich einer einfachen Wahrheit, die er in seinem Schmerz um Gaille irgendwie vergessen hatte: Das Leben war nur lebenswert, wenn es für jemand anderen gelebt wurde. Sein Rachefeldzug gegen die Nergadses war augenblicklich beendet, diese Leute waren das gar nicht wert. Und er erkannte auch, dass es seine erste Pflicht war, Emilia zu finden, komme, was da wolle. Alles andere konnte warten.
Er übergab Michel wieder Therese. «Ich habe etwas zu erledigen», sagte er. «Würden Sie sich noch eine Weile um ihn kümmern?»
«Natürlich.»
«Danke», sagte er. «Danke für alles.»
Sie nickte und ging mit Michel an ihrer Schulter zum Haus zurück. Er begleitete sie und wartete, bis sie sicher drinnen waren. Dann setzte er sich auf sein Motorrad und lenkte es nach Eden. Sein altes Leben war vorbei, und ein neues hatte begonnen.
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Kapitel 39
I
D elpha nahm Mustafas Vertrag nicht zur Hand. Er legte ihn einfach vor sich auf den Schreibtisch. Da seine Brille für das Kleingedruckte nicht stark genug war, holte er ein Vergrößerungsglas aus seiner Schublade und bewegte es so quälend ungeschickt über das Papier, dass Rebecca ihm am liebsten geholfen hätte. Als er fertig gelesen hatte, sah er sie tieftraurig an. «Das hast du unterschrieben?»
«Ja.»
«Warum?»
«Ich hatte keine Zeit. Es ging um das Lösegeld. Ich brauchte es, und ich –»
«Lösegeld?», fragte er erschrocken. «Für deinen Vater? Und deine Schwester?»
«Ich habe mit ihm gesprochen», sagte sie. «Er lebt. Sie sind beide am Leben.»
Delpha hatte Tränen in den Augen. Er atmete einmal tief auf, es klang wie ein Schluchzen, und drückte die Hand auf die Stirn. «Dem Himmel sei Dank», murmelte er.
«Mustafa wollte unbedingt eine Beteiligung an Eden», sagte Rebecca. «Mein Vater hat es in einem Brief erwähnt. Und er schrieb, Mustafa sei bei ihm an der falschen Adresse. Was hat er damit gemeint?»
Delpha ließ sich einen Moment Zeit, um sich zu fassen, dann sagte er: «Zunächst mal musst du eins wissen: Seit der Unabhängigkeit können bei uns nur noch Staatsbürger Grundeigentümer sein. Dein Vater hat sich aber nie einbürgern lassen.»
Rebecca runzelte die Stirn. Für sie war es immer selbstverständlich gewesen, dass Eden ihrem Vater gehörte, aber Delpha hatte recht: Ihre Eltern hatten Eden nach der Unabhängigkeit gekauft, und ihr Vater war nie madagassischer Staatsbürger geworden. Dann begriff sie. «Eden gehörte meiner Mutter? Und nach ihrem Tod?»
«Wir haben gemeinsam eine Treuhandgesellschaft gegründet, die den Park für dich und Emilia bis zu eurer Volljährigkeit treuhänderisch verwalten sollte. Ihr habt ja beide die doppelte Staatsbürgerschaft, ihr seid also die gesetzlichen
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