Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
wie Harlon meinen König verraten? Geht es mir jetzt so wie ihm? Ist ihm etwa das Gleiche passiert – musste er einem Drachen gehorchen?
Sie hoffte, sämtliche Götter würden ein Einsehen haben.
Der Drache knurrte, ein tiefes Grollen in seinem Bauch verriet ihr, wie er sich in seinen Zorn hineinsteigerte. Dann schnellte er auf einmal herum – erschrocken sprang sie zurück – und biss sich selbst ins Hinterbein. Es knirschte und knackte, als würde er jemandem die Knochen brechen, dann fuhr sein Kopf wieder hoch, und zwischen seinen Zähnen glänzte eine kleine bernsteinfarbene Scheibe.
» Hier«, keuchte er. » Nimm. Wird das als Beweis reichen?«
Linn zog vorsichtig die Schuppe aus dem Maul. Sie war groß wie ihre Hand, fingerdick, hart und glänzend wie ein polierter Edelstein. Was auch immer sie Nat Kyah bringen sollte, es konnte nicht so wertvoll sein wie das hier. Aber das war es wohl doch, sonst hätte er sich nicht selbst verletzt. An seiner Hinterhand klaffte ein kleines Loch; dunkelrotes Blut strömte aus der Wunde.
» Wea? Heile mich.«
Großzügig schüttete das Mädchen das glänzende Pulver über die offene Stelle. » Wintika«, sagte sie. » Wintika.«
Linn sah dabei zu, wie die Wunde sich schloss.
» Bedauerst du, dass du das nicht ebenfalls kannst? Wie schade, dass ich schon eine Zauberin habe, nicht wahr?«
Sie spürte den Wind im Gesicht, wenn sie durch den Spalt zwischen seinen beiden Klauen blickte, und die Welt glitt unter ihr hinweg. Der Drache hielt sie in seinen Tatzen wie in einem Kokon, und obwohl sie ihn so sehr hasste, fühlte sie sich gleichzeitig sicher und geborgen. Er flog sehr schnell, und wenn sie nach draußen sah, musste sie gegen den Schwindel ankämpfen.
» Ruath«, sagte er, mit heiserer, frohlockender Stimme. » Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal jemanden gehen lasse, der weiß, wo mein Schatz ist, aber du gehörst jetzt mir. Du kannst niemandem davon erzählen, ohne unseren Bund zu brechen.«
Die Welt, die unter ihr dahinflog, verwischte zu einem Wirbel aus braunen und gelblichen Feldern, Baumwipfeln, hin und wieder dem blauen Band eines Flusses. Ihr wurde übel, und als er endlich landete, konnte sie kaum stehen.
» Hier rasten wir«, bestimmte Nat Kyah. » Hinter diesem Wald liegen bewohnte Gegenden. Wir werden nachts fliegen, damit uns niemand sieht.«
» Werdet Ihr die anderen Mädchen freilassen?«, fragte sie. » Bestimmt würden sie schwören, Euer Versteck nicht zu verraten. Ihr braucht nur Wea und mich.« Eigentlich genüge ich, dachte sie. Sie musste es ihm sagen … aber sie brachte es nicht über sich. Als Verliererin des Spiels musste sie ihm gehorchen – was würde er tun, wenn er beides hatte, eine Zauberin und den Stein? Wea war wenigstens frei und konnte versuchen, sich ihm irgendwie zu widersetzen.
» Das geht dich nichts an«, knurrte er.
» Bitte, lasst die anderen gehen. Bringt sie irgendwohin, von wo sie nach Hause gelangen können.«
» Halt den Mund«, fuhr er sie an. » Ich will mich ausruhen.«
Linn ging umher, um die verkrampften Muskeln zu lockern. Wie weit sie noch von Lanhannat entfernt waren, wusste nur der Drache; auf alle ihre Fragen antwortete er nicht. Er hatte sich am Waldrand zusammengerollt und döste, die Augen geschlossen. Vor ihnen fiel das Land sanft ab, wellig wie ein sturmgepeitschter See breitete es sich aus – überall vergilbte Wiesen, aus denen knochige Sträucher ragten. Die Baumkronen rauschten in einem scharfen Wind über ihr. Sie blickte zu ihnen auf und atmete die Luft ein, den würzigen Duft von Walderde, Pilzen und Beeren. Nach der langen Zeit in der staubigen Burg, unter der glühenden Sonne eines wolkenlosen Himmels, waren ihr die Kälte und diese Düfte lieber als alles andere auf der Welt.
» Es ist Herbst?«, fragte sie, als ihr auffiel, wie weit die Jahreszeit vorangeschritten war. » Auf Burg Ruath war doch eben noch Sommer!«
» Auf Ruath ist immer Sommer«, murmelte der Drache verschlafen. Seine Krallen gruben Furchen in die Erde, während er sich wie eine Katze streckte.
Es war zu kalt, um ohne Decke zu schlafen, und Linn fror in ihrem dünnen Seidenkleidchen. Nur ein gröberes Tuch hatte sie mit, das sie sich um die Schultern schlang, es konnte die Kälte jedoch nicht abhalten. Sie fror ohne ihren Ring; ihr war, so kam es ihr vor, noch nie so kalt gewesen. Doch Nat Kyah hatte zum Glück nicht vor, die Nacht hier zu verbringen. Als die Sonne untergegangen war, in einem prächtigen,
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