Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
Schmuckstücke lagen, und stopfte es in ihren Beutel.
» Geh«, befahl Nat Kyah. » Geh, sofort, bevor ich mich vergesse!«
Oben auf dem Pass drehte sie sich noch einmal um. Der Drache flog durch das Tal. In einer gigantischen Lawine ging der geschmolzene Schnee ab und donnerte nach unten.
» Nein«, sagte Linn zu der Drossel. » Nein, ich tue es nicht. Ich bin frei – dieser Gott, Hay Ran Birayik, wird das doch wissen, oder? Ich konnte Nat Kyah den Stein nicht bringen. Niemals kann ich meinen König verraten und alles verleugnen, woran ich glaube. Ich muss nicht tun, was der Drache verlangt – oder etwa doch?«
Alles in ihr sträubte sich dagegen, zu Jikesch zu gehen und ihm zu erzählen, wie die Begegnung mit dem Drachen verlaufen war. Der Narr würde womöglich darauf bestehen, die Kette zu stehlen, und das konnte sie nicht erlauben. Linn hatte das Gefühl, dass sie damit nicht nur eine unsichtbare Linie überschreiten würde. Dieses Schmuckstück der Königin bedeutete dem König etwas, sie konnte es ihm nicht einfach wegnehmen. Das war etwas anderes, als reiche Leute zu berauben, die mehr Schmuck besaßen, als sie tragen konnten – und auch das war schon schlimm genug.
Diese Grenze wollte sie nicht überschreiten. Selbst wenn dieser Stein nicht die Macht eines Drachenkönigs in sich getragen hätte. Was sie nicht einmal wusste, sondern nur vermutete. Vielleicht war er ja gar nicht so gefährlich … und wenn doch? Was, wenn doch?
Zunächst wurde ihr die Entscheidung abgenommen. Mora war seit einigen Tagen krank und hatte nicht backen können. Nun musste Linn sich um alles kümmern und Agga Anweisungen erteilen, doch sobald alles geregelt schien, flüchtete sie in den Hof. Sie trainierte alleine, denn Bher hatte sich ebenfalls angesteckt und lag mit einem schweren Husten im Bett. Vom Balkon aus erteilten ihr die Alten, die dort in dicke Decken eingehüllt saßen, gute Ratschläge.
» Treffer!«, schrie Roban, der ihr Schneebälle zuwarf, die sie in der Luft erwischen sollte. » Treffer! Noch ein Treffer!«
» Ich liebe dich«, nuschelte die Drossel verschämt.
» Was?« Linn fuhr herum, doch der Vogel machte ein unschuldiges Gesicht und trippelte auf der Stange hin und her. » Was hast du da gerade gesagt?«
Robans Schneeball traf Linn am Kopf. » Hier bin ich! Keine Müdigkeit vorschützen!« Schmelzender Schnee lief unter der Ledermaske hindurch und juckte auf ihrer Haut.
Hatte sie das geträumt? Das, was sie unbedingt hören wollte?
Ich liebe dich …
Nein, denk nicht an Nival, diesen Idioten. Sofort war alles wieder da, was sie seit Tagen erfolglos bekämpfte. Hätte es nicht so sein müssen wie mit dem Hohen Spiel? Man erledigte seine Aufgabe und war frei. Dem Drachen hatte sie die grünen Steine gebracht. Und Nival hatte einen Kuss bekommen.
Warum war sie immer noch nicht frei, weder von dem einen noch von dem anderen?
Vielleicht hatte sie die Küsse nur geträumt. Das Gefühl, sich schon ewig zu kennen. Die Nacht in Nivals Bett, in seinen Armen, zu fest an ihn und den Schlaf gekettet, um sich zu befreien.
Sie kam immer noch nicht los von ihm. Dabei hasste sie ihn mittlerweile. Warum war er … so? Erst einmal seit ihrer Rückkehr hatte er an einem gemeinsamen Abendessen teilgenommen und sich eigentlich ganz normal verhalten. Er benahm sich wie immer, ging ihr aus dem Weg wie immer, schaute an ihr vorbei wie immer, tat, als würde sie nicht existieren.
» Linnia?« Mora erschien unter den Säulen, blass, mit wirrem Haar. » Du musst … die Pasteten … Ich verliere sonst die Lizenz.«
» Ich soll sie backen?«
» Ich dachte, ich werde schneller wieder gesund.« Mora musste sich an der Säule festhalten, so schwach war sie. » Mach es, bitte. Agga hat eingekauft und alles vorbereitet. Aber du kennst mein Geheimnis. Die spezielle Würzmischung«, fügte sie mit einem Blick zum Balkon hinzu.
» Ha?«, fragte die Drossel.
» Ja, ich tue, was ich kann«, versicherte Linn.
Sie konnte Moras Bitte nicht ablehnen, und da Agga schon den Teig und die Füllung nach Anweisung hergestellt hatte, blieb ihr nur noch, dem Ganzen den letzten Schliff zu geben. Sie scheuchte das mürrische Dienstmädchen aus der Küche und holte den Topf vom Bord, in dem die Hausherrin das Pulver aufbewahrte.
Von was für einem Drachen es wohl stammte? Ob er auch gesprochen hatte oder einer von denen war, für die Nat Kyah nur Verachtung übrighatte? Sie nahm etwas von dem Staub zwischen die Fingerspitzen. Er war von
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