Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
war das Tor bereits geöffnet. Die Wächter standen in Grüppchen herum und flüsterten, sie sahen kaum auf, als die junge Drachenjägerin hindurchritt, das Schwert an ihrer Seite. Vor ihr lag Lanhannat, die Stadt des Königs, im Dunkeln, der Nacht preisgegeben. Noch bevor Linn die Wegkreuzung erreichte, stieg im Osten die Dämmerung über die Hügel, auf denen der Schnee taute.
Ein blaugrüner Drache … oh, sie kannte ihn. Diesmal würde er ihr nicht entkommen. Zu gerne hätte sie den Boten genauer befragt, wo er das Untier gesehen hatte, doch nun musste ihr reichen, was sie sich selbst zusammenreimte. Der Mann war aus dem Norden gekommen. Unwahrscheinlich, dass er von dem Weg über den Pass wusste; viel eher hatte er die Straße durch Werrin genommen. Dorthin musste sie reiten und darauf hoffen, dass ihr Feind in der Gegend geblieben war, um Unheil zu stiften …
Bis zum Abend ritt sie, über sich einen wolkigen Himmel, der nichts von dem verriet, was in ihm lauerte. Vor sich die Hufspuren dreier Reiter. Natürlich, der Botschafter und sein kleines Gefolge hatten denselben Weg. Jetzt verstand Linn auch, warum sie ohne Soldaten unterwegs waren. Mit einem Leibwächter wie Nexin drohte Charrin wohl kaum Gefahr. Was, wenn der Drache die drei zuerst bemerkte? Würde sie rechtzeitig da sein, um die Tijoaner zu retten?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie retten will, dachte Linn, als sie von einer kleinen Anhöhe aus die drei Gestalten auf der Straße vor sich erblickte. Ausgerechnet in diesem Moment rissen die Wolken auf, und etwas Blaugrünes blitzte auf. Der Schatten mächtiger Flügel fiel über die Straße, genau dort, wo die drei Reiter gerade in einem Waldstück verschwanden.
Linn gab ihrem Pferd die Sporen. Vielleicht kam sie doch nicht zu spät, vielleicht konnte sie noch etwas ausrichten. Vielleicht konnte Nexin das Ungeheuer so lange aufhalten, bis sie die Gruppe erreichte … Der Gedanke daran, ob die Tijoaner es überhaupt wert waren, gerettet zu werden, war wie ausgelöscht.
» Lauf!«, rief sie ihrem Pferd zu, » lauf!«
Dann tauchten auch sie in den Wald ein. Grüne Knospen sprenkelten die schwarzen, vor Nässe glänzenden Äste, die zu beiden Seiten des Weges ein undurchdringliches Geflecht bildeten. Doch Linn hatte sowieso nicht vor, sich durchs Gestrüpp anzuschleichen. In der Stille wäre das Brechen des kleinsten Zweiges unerträglich gewesen. Diese Stille …
Der Braune wusste, was sie erwartete, auch wenn die Wegbiegung die Reisegruppe vor ihren Augen verbarg. Er scheute und warf sie ab; während sie sich aufrappelte, sah sie ihn davonpreschen. Linn packte ihr Schwert fester und humpelte vorwärts. Das Rauschen gewaltiger Schwingen erfüllte die Luft, Furcht zitterte in den Zweigen, und die Vögel schwiegen erschrocken. Alles wie damals …
Sie wartete auf die Schreie, auf das Feuer, auf das wilde Brüllen und Knistern der Flammen, doch der Tumult des Schreckens blieb aus. Dafür wurde die Stille nur umso mächtiger, unerträglicher. Dieses Schweigen, in dem der Flügelschlag des Drachen wie das Tosen eines fernen Wasserfalls klang.
Mit klopfendem Herzen folgte Linn der Straße durch die dunklen Mauern der Baumstämme, bog um die Ecke – und blieb wie angewurzelt stehen, denn sie konnte nicht glauben, was sie erblickte.
Vor ihr traten die Bäume weiter auseinander, und auf der kleinen Lichtung erhob sich etwas, das wie ein runder goldener Pavillon aussah, groß wie eine Kutsche, mit üppigen Kissen und Vorhängen. Die vergoldeten Streben gingen in ein gewölbtes Dach über, das von einer langen, querliegenden Stange gekrönt wurde. Der Drache hatte seine Pranken um das Holz gekrallt und schlug mit den Flügeln, noch ohne abzuheben, während der Botschafter gerade dem Mädchen in die Sänfte half. Chamija verlor ihren Schuh und lachte leise, als sie sich noch einmal bückte, ihn aufhob und sich umständlich, mit gerafftem Rock, erneut von Charrin helfen ließ. Er reichte ihr die Hand, und zum zweiten Mal stieg sie ein, um auf den üppigen Polstern Platz zu nehmen.
» Wo ist mein Schirm?«, fragte sie laut. » Ich habe ihn doch nicht im Schloss vergessen?«
Der Zauberer stand noch auf dem Weg, und vielleicht hatte er Linns Aufkeuchen gehört, denn er drehte sich zu ihr um und hob überrascht die Augenbrauen. » Oh, da kommt Ärger«, bemerkte er mit einem kühlen Lächeln. » Oder wollt Ihr etwa noch mit?«
» Eilt Euch, Hoheit«, drängte Charrin, woraufhin Nexin in das ungewöhnliche
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