Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
flüchtigen Moment verdeckte, um sie sofort wieder freizugeben.
Ein Schatten. Und noch einer. Und ein dritter. Wind knickte die Äste, wehte ihr die Haare aus dem Gesicht, warf sie fast um. Ein Kribbeln lief über ihre Haut. Die Wesen flogen so tief, dass sie fast die Baumkronen streiften. Wo sie vorüberzogen, vergaßen die Sterne zu funkeln.
Rinek drückte ihren Arm, so fest, dass es schmerzte. » Was war das?«, wisperte er.
» Du hast sie auch gesehen?«, fragte Linn.
» Bei Arajas! Das waren … es waren nicht etwa … Drachen?«
» Sie fliegen nach Brina«, sagte sie und wunderte sich, dass ihre Stimme so ruhig klang. Die Welt sollte zerspringen, sollte vor ihren Augen verschwimmen, doch alles blieb, wie es war – fest und real. Es war kein Traum. Diesmal waren sie echt. Nichts war mehr wie vorher. Erst in diesem Moment begriff sie, dass sie niemals wirklich an ihre eigene Vision geglaubt hatte. Sie hatte nicht erwartet, es könnte tatsächlich geschehen.
» Schnell!«, rief sie. » Nach Hause!«
Die beiden fassten einander an den Händen und rannten.
Wie in einem bösen Traum hatte Linn das Gefühl, nicht vorwärtszukommen. Sie kämpften sich durch die schwere Luft, die von der Finsternis zwischen den Stämmen verdichtet schien. Immer noch war alles still, nur der Bach rauschte nun lauter. Erst als sie den Feuerschein vor sich bemerkte, begriff sie, dass sie nicht das Fließen des Wassers hörte, sondern das Fauchen riesiger Tiere. Gleich danach setzten die Schreie ein.
Davon hatte sie geträumt, all die Jahre. Die Drachen mit ihren mächtigen Leibern, deren Gegenwart Linn in den Staub warf. Dazu das Feuer und der Rauch … All das musste noch kommen. Es kam. Jetzt.
» Oh Arajas!«, schrie Rinek. » Nein!«
Als sie aus dem Wald stürzten, verwandelte sich die Gegenwart vollends in einen Albtraum. Im Schein der brennenden Häuser sahen sie die Drachen fliegen. Es waren drei – gigantische Wesen, deren Flügelschlag die strohgedeckten Dächer zerfetzte. Schreiend liefen die Menschen umher wie aufgestörte Ameisen, manche brannten wie lebende Fackeln.
Rinek drückte ihre Hand.
» Bleib hier«, sagte er. » Ich halte nach den Unseren Ausschau.«
Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern stürmte los, mitten hinein ins Chaos.
Linn hielt einen Moment inne. Es war wie in ihrer Vision. Die schuppigen Bäuche der Untiere glitzerten im Feuerschein. Sie wollte sich zu Boden werfen, wie sie es in ihren Träumen tat, die Hände schützend über den Kopf halten und sich verstecken.
Jedes Mal geschah das, wenn sie träumte, tausend Mal hatte sie der Stimme gehorcht, sich geduckt und die Zähne zusammengebissen, während das Wimmern in ihrer Kehle brannte.
Doch dies war Brina. Ihr Zuhause! Hier lebten alle, die sie liebte. Rannte da vorne vor den zuckenden Flammen nicht ihre Schwester, mit wehendem Haar, so winzig unter dem riesigen Drachen, dass sie wie ein Kleinkind wirkte?
» Nein!«, rief Linn. » Binia! Binia!«
Sie lief los, zwischen die brennenden Häuser, über denen immer noch die Drachen kreisten.
» Haut ab! Fort mit euch!« Sie bückte sich, ertastete einen Stein, ohne die Augen von dem Drachen abzuwenden, dessen Flügelspitzen die Dächer abdeckten. Mit aller Kraft schleuderte sie den Stein in die Höhe, gegen das Untier, das mit ausgebreiteten Schwingen über die Straße glitt, genau auf sie zu. Bekannte und Nachbarn stürmten an ihr vorbei; eine Bäuerin hielt ihre kleinen Kinder auf dem Arm.
» Lauf!«, schrie sie gellend.
Wo war Binia? Linn blickte sich forschend um, konnte ihre Schwester aber nirgends entdecken.
» Binia!« Ihr verzweifelter Ruf ging unter im Knistern des Feuers, im Brüllen und Krachen der einstürzenden Dächer.
Sie stand auf der Straße, suchend, und der Moment war wie eingefroren – sie stand da, ihr Herz schlug lauter als alles, das Rauschen ging über sie hinweg, ohne dass sie es wahrnahm, und plötzlich blickte sie in das Auge des Drachens.
Er war entsetzlich – und zugleich war er wunderschön. In nichts glich er einer braungrünen Eidechse, wie Akir behauptet hatte. Der Drache glänzte in einem tiefen Blaugrün, das im flackernden Feuerschein fast schwarz wirkte. Sein langer, dornenbesetzter Schweif wand sich wie eine Schlange, während er den mächtigen Kopf suchend drehte. Die katzenhaften goldenen Augen strahlten wie handtellergroße Goldmünzen. Er richtete seinen Blick auf Linn, und sofort konnte sie sich nicht mehr von der Stelle rühren.
Und
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