Die Drachenjägerin 2 - Winter, M: Drachenjägerin 2
zugestochen!«, schrie einer der Ritter. » Ihr hattet ihn direkt vor Eurem Schwert!«
Das Schlimmste war, dass Okanion sie anstarrte, als sei sie eine Fremde. Wie der Respekt, den er ihr all die Jahre entgegengebracht hatte, allmählich aus seinem Gesicht verschwand.
» Seit wann ist die Garde wieder in der Stadt?«, fragte Linn verwirrt.
» Seit einigen Tagen. Habt Ihr geträumt, oder warum habt Ihr nichts davon mitbekommen? Wir sind Euch nachgeritten, um die Tötung des zehnten Drachen zu bezeugen«, sagte er. » Ich habe nicht daran gezweifelt, dass es ein Leichtes für Euch wird … Was ist los mit Euch, Ritterin Linnia?«
» Woher wusstet Ihr, dass ich auf Drachenjagd gehe?« Linn schaute sich um – Chamija war wie vom Erdboden verschluckt. Wenigstens musste sie nun nicht lange herumrätseln, wer ihr die Zeugen auf den Hals gehetzt hatte.
» Ritterin Linnia«, wiederholte Okanion, » was war das eben? Wieso habt Ihr gezögert? Ihr hattet seine Brust direkt vor Euch!«
Die Ritter hatten den gefallenen Körper ihres Kameraden aufgehoben und trugen ihn zu den Pferden. Zornige, anklagende Blicke trafen die Drachenjägerin. Einige versuchten aufzustehen und kamen stöhnend auf die Beine; mindestens zwei oder drei waren verletzt.
» Ich … wollte das nicht«, stammelte sie. Nie hätte Linn geglaubt, dass sie den Tod eines Menschen verschulden würde, wenn sie den Drachen verschonte. » Ich muss mit ihm reden, versteht Ihr? Er weiß etwas über den Tod meines Vaters, er weiß jede Menge Dinge, die ich unbedingt erfahren muss … Warum schaut Ihr mich so an?«
» Wir sind Drachenjäger«, sagte Okanion ernst. » Wir sprechen nicht mit unserer Beute. Was könnte ein Drache uns zu sagen haben – was, außer Lügen, die unseren Verstand vergiften und unser Herz aus dem Takt bringen? Ihr wisst um die Gefahr der Drachenzunge. Glaubt Ihr, weil Ihr die beste Jägerin seid, wärt Ihr als Einzige dagegen gefeit?«
Abrupt wandte er sich um. Linn blieb auf dem Hügel stehen, während die Ritter auf die Pferde stiegen und in Richtung Lanhannat loszogen. Erst als auch der Letzte außer Sicht war, rief sie Tani aus dem Wald und machte sich auf Rückweg.
25
Linn ritt, so schnell sie konnte. Da die Drachenjäger nur langsam vorankamen, um die Verletzten zu schonen, hatte sie eine Chance, vor ihnen in Lanhannat zu sein. Sie musste unbedingt mit Arian reden, bevor die anderen die Angelegenheit so verdrehten, wie es ihnen gefiel. Er würde es verstehen. Endlich, dachte sie, kann er beweisen, ob er mich wirklich liebt. Hoffentlich.
Sie brachte Tani in den Stall und eilte über den Hof, als sie die ersten Gardisten durchs Tor preschen sah. Verflucht! Wie sollte sie ihn jetzt noch allein sprechen? Unbedingt mussten sie allein sein, denn Prinz Arian war in der Gegenwart von Zuschauern immer ein anderer Mensch; nur wenn niemand dabei war, zeigte er sich, wie er war.
Er wird es verstehen. In seinem Herzen ist er nicht so streng und grimmig und abweisend, sondern sanft und verständnisvoll und einsam …
Während Linn die Stufen hinaufeilte, wurde ihr bewusst, wie sehr sie auf Arian hoffte. Wie sehr sie ihn mochte. Wie sehr sie sich danach sehnte, in seinen Schutz zu flüchten; er würde sie gegen die aufgebrachten Ritter verteidigen.
Hinter ihr erklangen bereits die Stiefel der Drachenjäger. Sie mussten bis vor die Stufen geritten sein und ihre Pferde dort einfach stehen gelassen haben. Und das nur, um sie so schnell wie möglich anzuschwärzen? Um den Prinzen vor ihr zu warnen, als sei sie eine tollwütige Verräterin?
Der Geheimgang! Nur so war sie vor ihren Verfolgern im Gemach des Prinzen! Linn wandte sich nach links, zu dem Flügel, wo Nivals Schreibkammer lag. Das Türschloss hielt ihrem Schwert nicht stand. Sie sah sich rasch um; alles verlassen. Schnell in den Schrank, in den Gang. Linn erinnerte sich noch gut an den Weg, schließlich war sie ihn oft genug gegangen.
Hinter dem Wandteppich schlüpfte sie mit dem Ruf » Arian!« hindurch und blieb wie erstarrt stehen.
Er war nicht allein. Chamija saß auf seinem Schoß und küsste ihn. Hell flutete das blonde Haar über ihre Wangen, und ihre schönen Augen wirkten so unschuldig wie die eines ganz jungen Mädchens.
Linn überkam ein merkwürdiges Gefühl der Unwirklichkeit. War Chamija nicht vorhin noch mit ihr draußen in den Hügeln gewesen? Wie kam sie so schnell zurück?
Nichts, was sie über die Zauberin sagte, würde jetzt noch glaubhaft klingen.
Arian
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