Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
Auge, nahm es als eine Art Nagel wahr, der in seinem Kopf steckte. Das hatte er schon häufiger gehört: Auch Amputierte spürten weiterhin ihr verlorenes Bein. Ido hätte nicht gedacht, dass es sich bei einem Auge genauso verhalten könnte, und in gewissem Sinn nahm er erst jetzt, da er es verloren hatte, sein linkes Auge richtig wahr.
Als er den Verband vollständig gelöst hatte, nahm er den Spiegel zur Hand, den er sich von Soana hatte bringen lassen. Er sah eine rötliche Narbe, die sich über sein halbes Gesicht zog, die schwarzen Punkte um das Augenlid herum, das geronnene Blut unter der Braue.
Er wusste nicht, wie er mit diesem neuen Bild seiner selbst umgehen, wusste nicht, was er fühlen sollte. Düstere Gedanken, bislang erfolgreich an den Rand des Bewusstseins verdrängt, begannen ihn zu bedrücken.
Jetzt wird alles anders. Du wirst das Schwert nie mehr so wie früher führen können. Du siebst nur noch die Hälfte, und aus der verdeckten Hälfte könnte der Feind hervortreten. Du wirst nie mehr der Krieger früherer Tage sein.
Als er eines Tages wieder mal durch das Dorf streifte, sah er ein bekanntes Gesicht, einen Jungen, der sich auf einer Krücke dahinschleppte. Der Gnom erinnerte sich gut an ihn. Es war Caver, der Schüler, der sich in der letzten Auswahlphase in der Akademie im Zweikampf so gut gegen ihn geschlagen hatte. Der Gnom hatte sich nicht in ihm getäuscht: Auch in der Schlacht hatte der Junge Mut und Tapferkeit bewiesen. Ido rief seinen Namen und trat auf ihn zu.
»Wie schön, Euch zu sehen, Herr!« Caver lächelte.
Sie suchten sich einen ruhigen Ort, um sich ein wenig zu unterhalten. Zunächst jedoch schwiegen sie eine ganze Weile, so als hätten sie sich nicht viel zu sagen. »Wie bist du verwundet worden?«, begann Ido dann.
»Das war am zweiten Tag, Herr, während Ihr mit Deinoforo beschäftigt wart. Ohne Eure Kommandos war unsere Truppe eine Zeit lang stark verunsichert, und in dieser Situation geschah es, dass mich ein Fammin erwischte.« Er lächelte traurig. Ido dachte an jenen Tag zurück. Er hatte sich auf Deinoforo gestürzt und darüber alles andere vergessen, so als sei er ganz allein auf dem Schlachtfeld. Ein Verhalten, das er aus früheren Zeiten von sich kannte, ihn heute aber eigentlich anwiderte. Er schämte sich. »Ich habe mich hinreißen lassen...«, gestand er mit gesenktem Kopf. »Ihr wart fantastisch!«, erwiderte der Junge. »Schade, dass ich nicht gesehen habe, wie Ihr ihm die Hand abschlugt, aber wie ich hörte, muss es ein unglaublicher Kampf gewesen sein. Ihr habt unseren gefährlichsten Feind ausgeschaltet. Nach seiner Verwundung war nichts mehr von ihm zu sehen.«
Dann bat Caver seinen Lehrer, ihm von dem Zweikampf zu erzählen, was der Gnom auch tat. Dabei freute er sich an den bewundernden Blicken seines Zuhörers, fühlte sich gleichzeitig jedoch auch unbehaglich. Ihm anvertraute Soldaten waren gefallen, und er war nicht bei ihnen gewesen, hatte sie sich selbst überlassen, um seinen persönlichen Kampf zu führen. Ein unmögliches Verhalten.
»Und was wirst du nun tun?«, fragte Ido schließlich.
Caver zuckte mit den Achseln. »Ich glaube nicht, dass ich noch einmal in den Krieg zurück will. Dort habe ich Dinge gesehen, die ich mir niemals vorgestellt hätte. Ich kann weit und breit kein Ideal erkennen, für das es sich lohnen würde, noch einmal solch einem Grauen beizuwohnen. Außerdem wurde mir gesagt, dass mein Bein nie mehr ganz in Ordnung kommen wird. Ich werde wohl nach Hause zurückkehren, aber es wird nicht einfach sein, mein früheres Leben wieder aufzunehmen. Zu viele meiner Kameraden habe ich sterben sehen.«
Ja, diesen Schmerz kannte Ido nur allzu gut. In den letzten vierzig Jahren hatte er fast alle verloren, an denen ihm etwas lag. Nur Nihal war ihm noch geblieben. Sie verabschiedeten sich voneinander, während eine blasse Sonne am Horizont unterging. Auf dem Weg in seine Unterkunft fühlte sich Ido wie ein Veteran. Es schien alles verändert seit seinem Zweikampf mit Deinoforo. Vielleicht ging eine Epoche zu Ende. Oder musste er nur selbst einen neuen Anfang finden?
25. Wer nie uu kämpfen aufgab
»Verdammt!«, fluchte sie.
Als Nihal wieder zu sich gekommen war, waren ihre Hände mit schmierigen Stricken gebunden, und ihr Kopf schmerzte entsetzlich. Sie und Sennar waren eingesperrt in einem stinkenden Loch, lagen gefesselt auf einem feuchten Felsboden. Da hatte die Halbelfe plötzlich gespürt, dass etwas nicht stimmte, so
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