Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
hattest. Wir umsegelten das Ungeheuer und liefen die Vanerien an, um das Schiff zu reparieren und unsere Vorräte aufzufrischen. Ich hab damals oft an dich gedacht«, erzählte sie, während sie ihn kokett anblickte, »und immer geglaubt, du hättest es nicht überlebt. Die Dinge, über die wir auf den Vanerien und an Bord gesprochen hatten, gingen mir nicht aus dem Kopf.« Nihal nahm einen ordentlichen Schluck von der bläulichen Flüssigkeit. »Und ich überlegte immer öfter, dass du vielleicht gar nicht so Unrecht hattest, als du von einem Leben mit einem höheren Ziel als bloßer Abenteuerlust sprachst«, fuhr Aires fort. »Auf alle Fälle fragten wir noch einmal Moni um Rat. Und die Wahrsagerin erklärte uns eine andere Route, an anderen Inseln entlang, auf der wir dem Sturm aus dem Weg gehen konnten. So begannen wir, unbekannte Gewässer zu erforschen. In gewisser Hinsicht war es eine herrliche Zeit: neue Länder, fremde Gestade, ferne Völker ...
Vier Monate lang kreuzten wir auf diese Weise umher, sahen alles, was das menschliche Auge nur erblicken kann. Als wir des Vagabundierens müde waren, erkundeten wir die Länder jenseits des Saar. Und schließlich nahmen wir unser normales Leben wieder auf. Doch ich war unzufrieden. Nach all den Orten, die ich gesehen, den vielen Abenteuern, die ich erlebt hatte, war mir, als bliebe mir nichts mehr zu tun übrig. Alles kam mir schal vor, langweilig. Schiffe entern, Feinde niedermachen, stets das Schwert in der Hand. Auch die vielen Männer, die ich kennenlernte, langweilten mich irgendwann. Ich dachte wieder an dich, an deinen Tod, und fragte mich, was auf dem Festland so Entsetzliches geschehen mochte, das jemanden wie dich dazu trieb, sein Leben für die Geschöpfe der Aufgetauchten Welt zu opfern.
Auf dem Meer fühlte ich mich mittlerweile wie in einem Käfig, und so beschloss ich, an Land zu gehen. Anfangs geschah es aus Neugier: Ich wollte sehen, woher du kamst, die Menschen kennenlernen, für die du dich geopfert hattest. Mein Vater bedauerte meine Entscheidung, widersetzte sich aber nicht. Zunächst zogen wir in die Freien Länder. Das Land der Sonne widerte mich bald an: All die Leute, die nur daran dachten, es sich gut gehen zu lassen, die Frauen mit Juwelen behängt, als seien sie Göttinnen ... Dann besuchte ich das Land des Wassers, aber auch von den Zuständen dort war ich enttäuscht: Menschen und Nymphen, die sich feindselig beäugten, dünkelhafte Generäle ... Ich konnte nicht verstehen, für wen du dein Leben geopfert hattest. So fasste ich den Entschluss, in Feindesland zu ziehen. Nachts überwand ich die Grenze zum Land des Windes. Und dort begann ich dann zu begreifen. Blut und Leichen schrecken mich nicht, das weißt du. Doch dort erlebte ich eine Grausamkeit, wie ich sie auf dem Meer niemals kennengelernt hatte. Eine versklavte Bevölkerung, überall diese abstoßenden Bestien, die Fammin, Soldaten, die aus reiner Mordlust töteten, Massenhinrichtungen ... Es war der Triumph der Gewalt als Selbstzweck. Und dann diese entsetzliche Tyrannenfeste, die alles beherrscht und von überall zu sehen ist. Lange zogen wir umher. Durch das Land der Felsen gelangten wir schließlich in dieses Land mit seinen unzähligen Vulkanen, in dem die Luft kaum zu atmen ist. Hier lernte ich zum ersten Mal Leute kennen, die schon lange unter dem Joch des Tyrannen lebten. Es waren versklavte, in ihrer Würde gebrochene Geschöpfe, denen der Mut zum Widerstand fehlte und die alles taten, was ihnen befohlen wurde, selbst wenn es hieß, einen Freund zu töten. Anfangs verachtete ich sie, überzeugt, dass sie die Knechtschaft verdient hatten. Dann jedoch musste ich an deine Worte bei unserem Gespräch auf den Vanerien, nach deinem Besuch bei Moni, denken. ›Warum sollen immer die Schwachen unterliegen?‹, fragtest du da.«
Aires sah Sennar lange in die Augen, bis der Magier verlegen den Blick senkte. Sie fuhr fort:
»Ich zwang mich, diesen Leuten tiefer ins Herz zu blicken, und was ich dort fand, führte mich schließlich hier an diesen Ort: Ich sah den Samen der Freiheit. Man zwang sie, in Knechtschaft zu leben, körperlich verwundet und gedemütigt in der Seele, und doch waren sie im Grunde ihres Herzens noch frei, das fühlte ich. Ich war immer schon der Ansicht, dass im Leben nichts wichtiger ist als die Freiheit. Man durfte nicht zulassen, dass der Samen dieser Freiheit, den jedes Geschöpf im Herzen trägt, auch noch abstirbt. So beschloss ich hierzubleiben, ich
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