Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
Grunde hatte er doch immer gewusst, dass die Offensive scheitern würde. Aber das war natürlich kein Trost. Er dachte an all die Gefallenen der letzten drei Tage, an Galla, wie er sich im Todeskampf wand, an Maverns traurige Miene, dann hatte er wieder die jungen Gesichter seiner Schüler aus der Akademie vor Augen, wie sie voll Bewunderung zu ihm aufgeblickt hatten vor der ersten Schlacht. Tot. Fast alle tot. Er riss sich aus seinen Gedanken.
»Und nun?«, fragte er.
»Jetzt lecken wir uns die Wunden. Wahrscheinlich verstärken wir unsere Truppen im noch freien Gebiet des Landes des Wassers, auch mit Einheiten aus Zalenia, doch die Lage ist natürlich verzweifelt. Wir können nur warten und unsere Haut so teuer wie möglich verkaufen. Unsere letzte Hoffnung ruht jetzt auf Nihal und ihrer Mission, aber ich weiß nicht, ob wir durchhalten werden bis zu ihrer Rückkehr.«
Ido fühlte sich traurig und müde, wie ein alter Mann, auf dessen Seele der Schmerz eines ganzen Lebens lastet. Er wechselte das Thema. »Keiner will mir genau sagen, was ich für eine Verwundung davongetragen habe.«
Erneut seufzte Nelgar und erklärte dann in einem Atemzug: »Deinoforo hat dir ein Auge ausgerissen. Und dabei hattest du noch Glück, dass dir die Klinge nicht den Schädel durchbohrt hat. Zwei Tage hing dein Leben an einem seidenen Fädchen, Soana hat dir sehr geholfen.«
Ido erinnerte sich: der höllische Schmerz, dann das Rot überall. »Was meinst du mit ausgerissen‹?«
»Nun, dass nicht mehr viel übrig war von deinem linken Auge, als wir dich fanden. Es musste dir entfernt werden. Jetzt hast du nur noch das rechte.«
Ein lähmendes Schweigen machte sich im Raum breit. Ido war unfähig, etwas zu sagen oder auch nur zu denken. Er legte eine Hand an das linke Auge und fühlte keinerlei Wölbung unter dem Verband. Das Auge war einfach nicht mehr da.
»Es tut mir leid für dich«, murmelte Nelgar mit gesenktem Kopf.
Einige Tage vergingen. Fast ständig wachte Soana an Idos Lager, bis es der Gnom irgendwann leid war, den ganzen Tag das Bett zu hüten. Zwar fühlte er sich schwach, doch den Kranken zu spielen, hatte ihm noch nie gefallen. So gedachte er, den Heilungsverlauf etwas zu beschleunigen, obwohl ihn die Magierin davon abzuhalten versuchte.
»Wenn du dir keine Zeit lässt, erreichst du nur das Gegenteil.«
»Ich fühle mich aber gut und habe keine Lust, wie ein Invalide auf der Pritsche zu versauern.«
Schließlich konnte sich die Dickköpfigkeit des Gnomen durchsetzen. Er stand auf, machte sich fertig und ging hinaus.
Wie er feststellte, befand er sich in keinem richtigen Militärlager. Dama war ein ganz normales Dorf, das man zu einem Stützpunkt gemacht hatte. Er sah ein Hin und Her von Menschen und Karren, auf denen Nachschub transportiert wurde, doch offensichtlich war hier der Krieg noch weiter entfernt. Nelgar war wieder zur Front aufgebrochen, und die Soldaten im Dorf waren fast ausschließlich Verwundete wie er. Ido kam sich wie in einem Lazarett vor. Er sah Männer, denen ein Arm oder ein Bein fehlte, die an Kopf oder Brust verwundet waren, und viele blickten auch ihn mitleidig an.
Ich hab doch noch beide Arme und beide Beine. Was ist dagegen schon der Verlust eines Auges?, sagte er sich, den mitleidigen Blicken ausweichend.
Dabei wurde ihm selbst allmählich klar, dass er sich etwas vormachte. Mit nur einem Auge betrachtet, war die Welt eine völlig andere. Die Sonne, der Wald, die Zelte und die Verwundeten, alles erschien so irreal. Eine neue Wirklichkeit, die Ido aber nicht akzeptieren wollte. Wenn ihm Gegenstände entglitten, weil er die Entfernung nicht richtig einschätzte und er sie erst beim zweiten oder dritten Versuch greifen konnte, sagte er sich: Das geht vorüber. Halb so schlimm. Man muss sich nur daran gewöhnen.
Aber die Welt kam ihm auch kleiner vor, so als habe sie sich plötzlich um ihn herum zusammengezogen. Immer geschah irgendetwas außerhalb seines Gesichtsfeldes, und es kam häufig vor, dass er beim Gehen irgendwo anstieß. Obwohl er versuchte, dem keine Bedeutung beizumessen, ärgerte ihn diese Ungeschicklichkeit.
Es dauerte einige Zeit, bis er den Mut fand, sich im Spiegel anzuschauen. Zwar wurde sein Verband häufig gewechselt, doch sein neues Gesicht hatte Ido bislang noch nicht gesehen.
Eines Abends beschloss er, dass nun der Moment gekommen sei.
Ganz behutsam löste er den Verband, weil die Wunde immer noch schmerzte. Ja, ihm war sogar, als spüre er noch das linke
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