Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
diese Rüstung gehörte zu Laio, nur er hatte das Recht, sie mir anzulegen. Zur Ehre seines Angedenkens erledige ich das jetzt lieber allein.« Ido nickte, blieb aber im Raum, um ihr beim Festziehen jener Riemen zu helfen, an die sie nicht herankam. Draußen war alles still. Als Nihal fertig war, half sie Ido bei seinen Vorbereitungen. Dann griffen beide zu ihren Schwertern und traten ins Freie. Die Sonne ging gerade an einem bleiernen Himmel auf. Die Luft war eiskalt, und am Boden lag alles unter einer Schneedecke, die unter den Stiefeln knirschte. Oarf, imposant wie immer, wartete in der Mitte der Arena auf seinen Ritter. Als Nihal sah, wie er stolz die mächtigen Flügel ausbreitete, wusste sie, dass sie nicht allein war. Sie schloss die Augen, und ihr Herz wurde ruhig.
Der Marsch begann, und als die Grenze in Sicht kam, stand die Sonne immer noch tief am Horizont. Die Soldaten blieben stehen. Entlang der Front hatten überall Heere Aufstellung genommen, die aus allen Winkeln der Freien Länder anmarschiert waren. Ungefähr eine Meile entfernt beobachtete der Feind, eine wilde Ansammlung von Fammin, Menschen, Gnomen und Geistern Gefallener, diese lange schwarze Linie und fragte sich wohl, was sein Gegner im Schilde führen mochte.
Den ganzen Anmarsch über hatte Nihal schon gespürt, wie die Kräfte des Amuletts, je näher sie dem Großen Land kamen, weiter zunahmen. Jetzt strahlte es in voller Stärke unter ihrer Rüstung, auf der groß Nammens Wappen prangte.
Raven reihte sich neben Nihal ein. Es war das erste Mal, dass sie ihn auf seinem Drachen sah, ein mächtiges, mattgrünes Tier, möglicherweise schon alt, gezeichnet von unzähligen Narben und sicher in vielen Schlachten bewährt.
»Es wäre eigentlich meine Aufgabe, eine Ansprache an die Soldaten zu halten, aber ich möchte dir diese Ehre zuteilwerden lassen. Ohne dich wären wir heute nicht hier versammelt«, sagte der Oberste General und forderte sie mit einer Handbewegung auf, sich an die vor ihnen aufgereihten Truppen zu wenden. Nihal errötete und drehte sich zu Ido um. Der Gnom lächelte ihr aufmunternd zu. Die Halbelfe bewegte sich nach vorn, zögerlich, während sie überlegte, was sie sagen sollte. Sie war verwirrt und aufgeregt, das einzig Klare in ihrem Kopf war Sennars Gesicht. Dann hob sie den Blick und merkte, dass die Soldaten sie bereits erwartungsvoll anschauten.
Nihal holte tief Luft. »Heute ist ein bedeutender Tag. Der bedeutendste Tag unserer Geschichte. Heute haben wir die Chance, den Frieden zu erobern. Viele von uns haben nur die Gräuel des Krieges kennengelernt und jahrelang unentwegt gekämpft. Heute können wir den Teufelskreis von Hass und Gewalt durchbrechen und tatsächlich den Frieden gewinnen, den wir uns so ersehnen. Viele haben schweres Leid ertragen. Ich bin eine Halbelfe. Mein Volk hat den höchsten Preis bezahlt in diesem Krieg: Es wurde vollständig getilgt von dieser Erde. Deswegen kämpfen wir gegen den Hass, gegen die Grausamkeit, gegen jene, die aus Mordlust töten. Wenn wir es wirklich wollen, wird dies die letzte Schlacht sein, das Blut, das wir vergießen, das letzte, das unsere Erde tränkt. Von morgen an kann alles anders sein. Jeder von uns hat einen Beweggrund, der ihn zu kämpfen anhält, jeder trägt eine Flamme im Herzen, die sein Leben erhellt und ihm einen Sinn verleiht. Ich wünsche mir, dass all diese Flammen zu einem einzigen großen Feuer des Friedens werden und dass hinter jedem Hieb, den ihr auf den Feind niederfahren lasst, nicht Rachsucht, sondern die tiefe Sehnsucht nach Frieden steht.« Nihal schwieg. Ido, an seinem Platz, nickte lächelnd, und Nihal wusste, dass ihr Lehrer verstanden hatte. Diese Worte fassten den gesamten Weg zusammen, den sie in den letzten Jahren zurückgelegt hatte.
Zunächst legte sich Stille über die Zuhörerschaft, dann plötzlich explodierte die Truppe in einem einzigen Schrei, und dieser Schrei pflanzte sich fort zu den anderen Abteilungen, wo ebenfalls Feldherrn und Ritter zu ihren Soldaten gesprochen hatten. Nicht weit entfernt erblickte Nihal auch ein Heer aus Zalenia unter dem Kommando eines Mannes in einer leichten Rüstung, der stolz zu Pferd saß. Wie ein Lauffeuer entflammte der Schrei, wie von einer einzigen Stimme, alle Heeresteile längs der Grenze, von den nördlichsten Klippen im Land des Meeres bis zum Delta des Saar im Westen und zu entlegensten Gebieten am Rand der Großen Wüste im Osten. Und zum ersten Mal ließ dieser Schrei das Herz der
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