Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
so spitz und scharf seien, sehe er erst recht keine Möglichkeit. Er könne ihn nur nach Lamar bringen. Von dort müsse er eben mit einem Boot übersetzen. Zum Glück hatte der Graf Sennar mit ein wenig Geld ausgestattet.
Sie erreichten Lamar, als die Sonne bereits seit einigen Stunden untergegangen war. Sennar sprang vom Drachen ab, verabschiedete sich von Aymar mit einem flüchtigen Dankeschön und hastete Richtung Hafen.
Die Stadt war sehr groß, ein Labyrinth von Gassen, die in kleine Plätze mündeten, und Sennar hatte Mühe, sich nicht zu verirren. Als er endlich am Kai angelangt war, empfing ihn ein Wirrwarr von ankernden Schiffen. Der Mond stand hoch, und Sennar wusste, dass es zu dieser späten Stunde sehr schwierig sein würde, ein Boot aufzutreiben. Am fünften Landungssteg fand er jedoch eine barmherzige Seele, die bereit war, ihn anzuhören.
»Ein Boot? Um diese Zeit?«, fragte der alte Mann, an den er sich gewandt hatte. Die Last der Jahre hatte dessen Rücken gebeugt, und er war vollkommen kahl. »Und wozu überhaupt?«, setzte er noch hinzu, während er mit schwieligen, knöchernen Händen ein Tau aufwickelte.
»Ich muss zu den Arshet-Klippen«, erklärte Sennar hastig und zeigte ein paar Münzen vor. »Es soll auch Euer Schaden nicht sein.«
»Darum geht es mir nicht«, erwiderte der Alte, der dennoch einen flüchtigen Blick auf das Geld warf. »Sich nachts zu orientieren, ist keine leichte Sache. Kannst du überhaupt mit einem Boot umgehen?«
»So schwer kann das doch nicht sein ...«, bemerkte Sennar, worauf ihm schallendes Gelächter entgegenschlug.
Als sein Lachen endlich verklungen war, schaute ihn der Alte erneut an. »In ein paar Stunden fahren ein paar Fischer aufs Meer hinaus. Am besten schließt du dich denen an.«
»Und wo finde ich die?«
»Es ist noch viel zu früh«, antwortete der Alte. »Ich weiß ja nicht, wo du herkommst, aber bei uns isst man um diese Zeit noch zu Abend.«
Als hätte ich Zeit, ans Essen zu denken ...
Sennars Gedanke wurde jedoch widerlegt von seinem Magen, der gerade jetzt zu knurren begann. Der Magier errötete leicht.
»Hör mal, junger Freund«, erklärte der Alte und schaute ihn vergnügt an, »du scheinst mir doch eher schlecht beieinander zu sein, und in dieser Verfassung wirst du ohnehin nicht weit kommen. Warum isst du nicht etwas mit mir zusammen, und danach bringe ich dich zu einem befreundeten Fischer.«
»Ich weiß nicht, ob mein Geld für beides reicht, für Boot und Abendessen ...« Der Alte verzog empört das Gesicht. »Wo kommst du bloß her? Hier im Land des Meeres jedenfalls gilt die Gastfreundschaft noch etwas. Komm mir also nicht mit solch blödsinnigem Gerede.« Damit zog er die Tür auf und ließ Sennar in seine Hütte eintreten, die direkt an der Mole lag.
Er bot ihm von einer Fischsuppe an, ganz ähnlich jener, die seine Mutter ihm häufig gekocht hatte. Duft und Geschmack riefen bei Sennar zahlreiche Erinnerungen wach, und es schmerzte ihn, nicht die Muße zu haben, in seinem Heimatdorf vorbeizuschauen und seine Mutter zu besuchen.
Als es Zeit war, verließen sie die Hütte, und während sie am Kai entlangliefen, stellte der Alte ihm die Frage, die Sennar schon befürchtet hatte. »Was willst du eigentlich bei den Arshet-Klippen?«
Sennar schwieg einen Moment. Es fiel ihm einfach keine glaubhafte Ausrede ein. »Ich suche da was ...«, brummte er schließlich nur.
»Und das wäre?«, ließ der Alte nicht locker.
Sennar seufzte. »Tut mir leid, aber das ist eigentlich ein Geheimnis, ja, es ist tatsächlich ein richtiges Geheimnis ... Ich kann es Euch nicht verraten.«
»Nun ja, es hat eben jeder so seine Leichen im Keller«, gab sich der Alte mit einer philosophischen Bemerkung zufrieden, und Sennar pries innerlich die Zurückhaltung seiner Landsleute.
Sie gelangten zu einem Kai, an dem sich bereits viele Fischer drängten. Ihre Boote, die dort vor Anker lagen, waren mit Laternen am Heck ausgestattet, die mit ihrem schwachen Lichtschein die Nacht ein wenig erhellten. Der Alte trat auf einen der Fischer zu, einen groß gewachsenen, muskulösen Mann mit tiefbrauner Haut, und unterhielt sich eine Weile mit ihm. Dann winkten sie Sennar herbei, und ohne ein Wort bedeutete der Fischer ihm, in das Boot zu steigen. Der Magier kam der Aufforderung sogleich nach, und bald darauf stachen sie in See.
Das Meer war ruhig, denn die Lamar-Bucht lag geschützt, und die Wellen brachen weiter draußen, noch bevor sie die Küste erreichten.
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