Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
und nun erst merkte sie, wie sehr ihr das gefehlt hatte.
Tagsüber kümmerte sich Laio um sie und behandelte sie mit seinen warmen, stinkenden Umschlägen, abends war es Megisto, der ihr wohlschmeckende Suppen zubereitete. Doch unbeschwert konnte Nihal diese Erholungspause nicht genießen. Seit Sennars Aufbruch verspürte sie ständig eine unterschwellige Nervosität in der Magengegend. Auch wenn die Abschiedsworte des Zauberers zuversichtlich klangen, in seinem Tonfall hatte sie etwas wahrgenommen, das sie misstrauisch stimmte. Der Talisman war eine Gefahr für ihn.
An einem Abend bemerkte Nihal, dass sich Megisto sonderbarverhielt. Laio hatte sich schon schlafen gelegt, und sie ruhte auf ihrem Lager und starrte in die Flammen des Feuers, das in einer Nische der Höhle langsam erlosch.
Der Alte saß schweigend davor und stocherte mit einem Stöckchen in der Glut. Nihal fühlte sich unruhig. Sie wusste, dass Megisto die Gabe der Weissagung besaß. Hin und wieder öffneten sich unvermittelt vor seinen Augen die Pforten der Zukunft, und der Greis überblickte, nur einen Moment lang und in verschleierten Bildern, den Lauf der Dinge. Bei ihrer ersten Begegnung hatte Megisto auf diese Weise Soanas Heimkehr vorausgesehen. »Was hast du? Warum bist du so einsilbig?«
Der Greis riss sich aus seinen Gedanken und hob den Blick, der finster wirkte. Die Halbelfe erschrak.
»Wieso blickst du mich so an? Was ist denn geschehen?«
Der Greis antwortete nicht und stocherte weiter in der Glut herum. Träger Rauch stieg auf. Das Feuer war erloschen.
»Was ist denn los? So sprich doch!«
Nihal schüttelte ihn, doch Megisto ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Behutsam löste er ihre Hand von seinem Arm und drehte sich zu ihr um.
»Bevor er sich auf den Weg machte, trug mir Sennar auf, mich um dich zu kümmern und dich nicht in Sorge zu versetzen, was sein Schicksal betrifft.«
Nihal spürte, wie ihr etwas die Kehle zuschnürte, eine dunkle Vorahnung, die langsam Gestalt annahm.
»Ich glaube, ich kann mein Versprechen nicht länger halten«, setzte der Greis hinzu. »So sprich! Was hat Sennar mir verschwiegen?«
»Als ich heute Morgen erwachte, öffneten sich vor mir die Pforten der Zukunft, und ich sah, was ihm zustoßen wird. Es gibt keinerlei Magie, die die Mächte des Talismans wirkungsvoll bändigen könnte. Bereits die Kraft des einen Edelsteins darin setzt Sennar furchtbar zu. Wenn er endlich zu dem Heiligtum gelangt ist, wird er erschöpft und gezeichnet sein. Und wird daher sterben.«
Wie ein Felsblock krachte diese Prophezeiung in die Stille der Höhle.
»Wann wird das denn sein?«, fragte Nihal mit erstickter Stimme.
»Das kann ich dir nicht sagen. Wie du weißt, sind meine Visionen immer verschleiert... Bald jedoch. Es kann sich nur um Tage handeln.«
»Wo befindet er sich jetzt?«
»Das weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es in einer weiten Bucht, der Lamar-Bucht, geschehen wird. Dort erheben sich auf offener See zwei mächtige Klippen. Und dort wird es geschehen.«
Nihal ergriff ihr Schwert und machte sich daran, ihre Habseligkeiten zusammenzupacken. Sie rüttelte Laio wach, der kaum zu sich kam, und wandte sich dann erneut an Megisto. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass er mich hinters Licht führt?«, fragte sie zornig.
»Du weiß doch selbst, warum Sennar mit dir zusammen zu dieser Mission aufgebrochen ist. Ich wollte ihn in diesem Wunsch unterstützen. Und das habe ich getan, solange ich konnte.«
Nihal und Laio machten sich fertig zum Aufbruch, und als sie ihren Drachen bestiegen, hatte das Morgengrauen gerade erst damit begonnen, den Himmel ein wenig aufzuhellen.
»Danke«, murmelte die Halbelfe an den Greis gewandt, bevor sie sich in die Lüfte erhoben.
Doch Megisto war bereits wieder zu Fels geworden.
Aymar musste seine ganze Überredungskunst, die allerdings eher beschränkt war, und seinen gesunden Menschenverstand in die Waagschale werfen, um Sennar dazu zu bringen, mit dem Aufbruch bis zum Morgengrauen zu warten.
Kaum hatte die Sonne den Horizont ein wenig gefärbt, stürmte der Magier in die Kammer des Ritters und warf ihn aus dem Bett.
»Es ist Zeit«, rief er.
Er schleifte den noch halb Schlafenden zu seinem Drachen, und sie stiegen auf. Sennar hatte gehofft, dass Aymar ihn auf einer der Arshet-Klippen absetzen könne, doch der junge Ritter erklärte, das sei vollkommen unmöglich. Kein Drache könne dort landen. Dort gebe es keine ebene Fläche, und wenn die Klippen dazu noch
Weitere Kostenlose Bücher