Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
Gedanken an ein Pferd musste er schweren Herzens aufgeben: Durch das Haupttor zu verschwinden, wäre zu schwierig geworden. Er musste über den Zaun. Er suchte sich eine Stelle, die nicht überwacht wurde, und kletterte hinüber. Dann rannte er in den Wald hinein.
So schnell er konnte, entfernte er sich vom Lager, zunächst lief er, dann, als er außer Atem war, marschierte er raschen Schritts. Er wollte das Lager möglichst weit hinter sich lassen, bevor es hell wurde und man ihm vielleicht jemanden auf die Fersen setzte. Die ganze Nacht wanderte er ohne bestimmtes Ziel durch den Wald. Erst als die Sonne aufging, fragte er sich, welche Richtung er überhaupt einschlagen sollte. Er wusste, dass er zur Grenze gelangen und dabei auf der Hut sein musste, sich nicht an die Front zu verirren. Doch seine diesbezüglichen Kenntnisse stammten noch aus dem Vorjahr, als er im Hauptlager gelebt hatte. Und jetzt hatte er keine Ahnung, wie weit die feindliche Armee bereits vorgerückt war.
Am Waldrand setzte er sich ins Gras und überlegte, was zu tun sei. Das Land der Sonne war ihm eher fremd, und er kannte im Grunde nur den Weg, der in die Hauptstadt Mak-rat führte. Während er sich ins Gedächtnis zu rufen versuchte, wie eigentlich die Grenze verlief, verzagte er immer mehr. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er jetzt weiter vorgehen sollte, und es kam ihm so vor, als sei seine Reise bereits beendet, bevor sie eigentlich angefangen hatte.
Er ließ den Wald hinter sich und begann die Ebene zu durchwandern. Es war ein weites Gebiet, wo von irgendwelchen Heeren nichts zu sehen war. Das könnte wohl die richtige Gegend sein, um die Grenze zu überqueren, überlegte er. Den ganzen Morgen marschierte er. Seine gesamte Selbstsicherheit war verraucht, und immer häufiger dachte er, wie dumm er doch gewesen war, sich über Neigars und Nihals Anordnungen hinwegzusetzen.
Als er schon nahe der Grenze war, erblickte er eine schwarze Linie am Horizont. Vor ihm, in der Ferne, standen Truppen. Dort konnte er also unmöglich hinüber. Mittlerweile quälte ihn zudem der Hunger, denn zu allem Unglück hatte er keinerlei Proviant für den langen Weg eingesteckt. So blieb ihm nur eins: Er musste nach einem Dorf Ausschau halten.
Nach einem halben Tagesmarsch erkannte er die ersten Häuser eines Dörfchens. Es waren nicht mehr als ein Dutzend insgesamt, die um einen länglichen Platz herum standen. Die Front war nahe, und die Angst hatte die Menschen von den Straßen vertrieben. Ein Wirtshaus war allerdings geöffnet, mit einer Stube, in der man sich stärken konnte, und einem angebauten Stall als Unterkunft für Mensch und Tier. Zum Glück hatte Laio einiges an Geld in der Tasche. Unterwegs mit Sennar und Nihal hatte er die Reisekasse gehütet und trug den Geldbeutel immer am Körper, selbst wenn er schlief.
Nun aß er etwas und beschloss dann, sich bei jemandem in der Gaststube zu erkundigen. Der Wirt, ein stattlicher Mann mit kugeligem Bauch und gutmütigem Gesichtsausdruck, flößte ihm Vertrauen ein. Er trat auf ihn zu und fragte, wie die Lage an der Front sei.
Der Mann schaute ihn misstrauisch an und heftete dann den Blick auf Laios Schwert. »Du schaust nicht wie ein Soldat aus«, sagte er.
Laio errötete. »Ich bin ein Knappe und unterwegs zu meinem Ritter.« Das war noch nicht einmal gelogen.
»Rund zehn Meilen von hier entfernt wird gekämpft«, antwortete der Wirt, nun gelassener. »Feindliche Stellungen gibt es fast überall längs der Grenze. Die einzige von Truppen unbesetzte Gegend sind die Sershet-Berge. Bis dort hinauf dringen gewöhnlich noch nicht einmal die Fammin vor.« So musste er also über das Gebirge. Nach Auskunft des Wirtes war der Weg sehr weit, und Nihals und Sennars Vorsprung war groß. Der Knappe rechnete hin und her und kam zu dem Schluss, dass es das Klügste wäre, all sein Geld in ausreichend Proviant für den Weg und zudem ein Pferd zu stecken. Das tat er dann auch, und kaum hatte er sein Mahl beendet, saß er auf und ritt los.
In wildem Galopp jagte er der Grenze zu. Aber auch wenn es ihm gelänge, sie zu überqueren, dachte er, bliebe das Problem, wie er Nihal finden sollte. Er wusste ja nicht, wohin sie unterwegs war, hatte nicht die leiseste Ahnung, wo das gesuchte Heiligtum lag, und würde dort im Feindesland auch niemanden nach dem Weg fragen können. So versuchte er, die Sache noch einmal in Ruhe zu durchdenken: Auch das nächste Heiligtum würde sich wahrscheinlich wieder, so wie die
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