Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
ruckartig auf.
»Du glaubst, der Tyrann sei schuld an allen Übeln der Welt, und man hat dir erzählt, wenn er erst vernichtet sei, kehre wieder Frieden ein. Aber das ist nicht wahr. Frieden hat es in unserer Welt niemals gegeben.«
»Und die fünfzig Jahre unter Nammen?«, fragte Nihal erstaunt.
Thoolan lächelte. »Nammen herrschte nur ein Jahrzehnt, dann raffte ihn ein tödliches Fieber in der Blüte seiner Jahre hinweg. Nach ihm gelangte ein Despot auf den Thron, der herrschte, als sei alles - Wasser, Luft, Erde und Leben - sein persönliches Eigentum. Damit niemand seine Macht gefährdete, tötete er viele Magier oder trieb sie ins Exil, indem er sie als Verräter brandmarkte. Er führte einen Bürgerkrieg gegen seine Feinde im Innern und spaltete das Land der Tage. Zur selben Zeit ergriff im Land des Feuers Marhen die Macht, indem er das Blut von Molis Vater Daeb vergoss, der selbst durch Vatermord auf den Thron gelangt war. Im Land des Wassers wiederum bekämpften sich Menschen und Nymphen, denn Erstere trachteten danach, Letztere zu vertreiben. Und so war es überall: Zwar herrschte kein Krieg zwischen den verschiedenen Ländern, doch überall wurde gekämpft, oder das Unrecht obsiegte.«
»Das kann nicht stimmen«, widersprach Nihal. »Alle sagen, dass vor der Unterdrückung durch den Tyrannen Frieden herrschte!«
»Das hat dir nur Soana erzählt«, erwiderte die Alte, »doch von Ido weißt du eigentlich schon, dass es sich so nicht verhielt. Auch wenn die Länder nicht miteinander im Krieg lagen, so herrschte doch kein Friede. Wer jene Epoche nicht selbst erlebt hat, spricht von glücklichen Zeiten, denn wüssten die Bewohner dieser Welt, dass es niemals Frieden gegeben hat, verlören sie die Hoffnung und stürben.«
»Das kann nicht sein ...«, widersprach Nihal noch einmal, nun aber schon weniger überzeugt.
»Grausamkeit und Hass sind in den Herzen aller Geschöpfe dieser Welt verwurzelt, und der Tyrann ist nichts als ein Kind dieses Hasses: Von ihm wurde er gezeugt, und von ihm nährt er sich. Könntest du ihn heute auch besiegen, würde morgen ein neuer Tyrann erstehen. Leben und Tod-von Anbeginn an folgen sie aufeinander, immer schon bekämpften sich Gut und Böse. Denn dies ist das Wesen dieser Welt. Es war nicht der Tyrann, der das Böse in die Welt brachte.«
Nihal war vollkommen verwirrt. »Dann glaubst du also wirklich, dass das, was ich tue, unnütz ist?«
»Ich sage dir nur, dass du es gar nicht tun musst, wenn dir nicht danach ist.« »Aber meine Brüder und Schwestern wurden ausgerottet, überall wird unablässig Leben vernichtet.«
Thoolan lächelte. »Für die Toten kannst du nichts mehr tun. Und was die Lebenden betrifft, so kannst du sie unmöglich alle retten, und ich weiß auch, dass dies gar nicht dein Ziel ist. Du bist zu dieser Mission aufgebrochen, weil du dich verpflichtet fühltest, aber nicht, weil sie dir am Herzen liegt.«
Nihal wusste nicht, was sie antworten sollte. Die Alte hatte die Wahrheit gesagt: Sie trug die Edelsteine für den Talisman zusammen, weil sie glaubte, dass dies ihr Schicksal sei, dass sie kein anderes Ziel habe, und weil sie, wäre sie ihm nicht gefolgt, nicht gewusst hätte, was sie mit ihrem Leben hätte anfangen sollen.
Die Alte blickte sie voller Mitgefühl an. »Ich weiß, was du erleiden musstest: Livons Tod, die Ausrottung deines Volkes, das Gefühl der Verlassenheit. Ich kenne dein Herz und die Schmerzen, die es nicht zur Ruhe kommen lassen.«
Nihal war sich bewusst, dass in ihrem Blick nun etwas Flehendes lag, der tiefe Wunsch, verstanden und getröstet zu werden.
»Ich weiß auch, dass du in der Schlacht viele Male gehofft hast, dass der Tod dich hinwegrafft.«
»Nein, du irrst«, erwiderte Nihal. »Ich habe mir nie gewünscht zu sterben. Wie könnte ich auch, da ich weiß, dass mit mir mein Volk ausstürbe?«
»Warum lügst du?«, fragte Thoolan betrübt. »Als du gegen Idos Willen in den Kampf zogst, hast du, während du tötetest, im Grunde deines Herzens gehofft, selbst auch getötet zu werden. Und als du gegen den wiederauferstandenen Fen kämpftest, blicktest du in freudiger Erwartung auf das Schwert, das auf dich herniederfuhr. In jenem Moment wolltest du nichts anderes, als ausgelöscht werden, und du warst froh, von der Hand jenes Mannes zu sterben, den du liebtest.«
»Nein, so war es nicht ..., du irrst dich ...«, versuchte Nihal zu widersprechen, doch ihre Sicherheit wankte. Wieso wusste diese alte Frau Dinge, die sie
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