Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
wieder auf den Weg. Je weiter sie kamen, desto stärker zweifelte Sennar an der Richtigkeit seiner Entscheidung. Die Ebene mit ihrem Geröll und den weißlichen Knochenresten hier und da zwischen den Felsen wollte kein Ende nehmen. Schweigend schleppten sie sich vorwärts. »Ich möchte nach Seferdi«, sagte Nihal eines Abends plötzlich.
Sennar fiel das Stück Dörrfleisch zu Boden, in das er gerade beißen wollte. »Wie bitte?« Nihal schlug die Augen nieder. »Du hast mich schon richtig verstanden.« Seit Tagen grübelte sie schon darüber. Sie wusste, wie verrückt diese Idee war, wie schmerzhaft ein Besuch in der wahrscheinlich vollkommen zerstörten Stadt der Halbelfen sein würde. Doch der Wunsch ließ sich nicht länger unterdrücken. Die Bilder, die sie bei Thoolan gesehen hatte, und die Stimmen der Geister, die sie quälten und ständig an die Ausrottung ihrer Brüder und Schwestern mahnten, hatten Spuren hinterlassen, die sie nicht ignorieren konnte. Je länger sie in ihrem Heimatland unterwegs waren und je näher der Zeitpunkt rückte, da sie es wieder verlassen würden, desto stärker wurden ihre Sehnsucht und ihr Bedürfnis, hier etwas zu entdecken, das von ihrem Volk Zeugnis gab.
»Nein, ich habe es nicht verstanden«, antwortete Sennar, »oder wenigstens hoffe ich, dass ich es nicht richtig verstanden habe.«
»Ich weiß auch, dass es Wahnsinn ist ..., aber ich muss es einfach tun.« »Vor ein paar Tagen habe ich dich gefragt, ob du einverstanden bist, dass wir weiter durch die Wüste ziehen, und du hast zugestimmt. Im Land des Wassers hattest du es so eilig, dass du dich sogar halbtot auf den Weg machen wolltest. Und jetzt möchtest du plötzlich einen Abstecher in eine Stadt im Feindesland machen?« Die Stimme des Magiers klang schneidend.
»Ja, du hast Recht, ich war einverstanden mit dem Weg durch die Wüste«, räumte sie ein, »und ich weiß auch, wie gefährlich das werden kann, aber ...«
»Ich verstehe dich wirklich nicht », sagte Sennar noch einmal, jetzt aber ruhiger. »Warum willst du solch ein Risiko auf dich nehmen?« »Weil ich meine Wurzeln finden möchte.«
Sennar schüttelte den Kopf. »Das verstehe ich auch nicht. Du bist doch gar nicht unter Halbelfen, sondern unter Menschen aufgewachsen und hast immer nur unter Menschen gelebt. Du bist eine von uns: Warum willst du das nicht einsehen? In Seferdi wirst du nur das finden, was du ohnehin schon zur Genüge kennst: Leid und Tod.« Nihal blickte zu Boden. »Vielleicht hast du Recht, aber ich kann nicht anders. Ich weiß auch nicht, wie ich es erklären soll ... Ich spüre einfach, dass hier meine Wurzeln liegen. Alles hat mit diesem Land zu tun, was ich bin, was ich hätte sein können, was ich einmal sein werde. Ich möchte sehen, was von meinem Volk erhalten ist.« »Warum willst du dir bloß so wehtun?«, fragte Sennar mit leiser Stimme. »Ich muss einfach ... Ich werde nie ein Mensch, und ich werde auch nie eine Halbelfe sein, wenn ich nie gesehen habe, wie sich Seferdi, die › Weiße Stadt‹, hell leuchtend zwischen den Wäldern erhebt. Versuch doch bitte, mich zu verstehen.« »Einverstanden, wie du willst«, gab sich Sennar schließlich geschlagen. Sie wandten sich also in westliche Richtung und konnten binnen zwei Tagen die Wüste hinter sich lassen. Doch die Landschaft, die sie nun vor Augen hatten, veranlasste sie beinahe, ihr nachzutrauern: eine endlos weite Ebene, besetzt mit schwarzen Höckern. Es waren Türme, die durch helle, wie Narben wirkende Straßen verbunden und von je einer Handvoll offenbar planlos errichteter Häuser umstanden waren. Kein Baum war zu sehen, bloß das blendende Grau der Ebene. Darüber hinaus war die Einöde der Wüste ein einigermaßen sicherer Ort gewesen, während es in dieser Gegend von Fammin nur so wimmelte.
»Überleg's dir gut«, versuchte Sennar, während er mit Nihal am Rand dieser Ebene stand, seine Gefährtin noch einmal umzustimmen. »Du kannst deine Meinung immer noch ändern. Ich würde dann schauen, dass ich in einer dieser, nun ja ... Städte unsere Vorräte auffrischen kann. Du wartest in der Wüste auf mich, und dann ziehen wir weiter gen Süden.«
Nihal zog die Kapuze ihres Umhangs tief ins Gesicht. »Komm, lass uns keine Zeit verlieren«, erklärte sie nur und marschierte los, in die Ebene hinein.
Am letzten Tag ihres Aufenthalts in der Wüste hatten sie fasten müssen. Nur Wasser war noch übrig. Sie waren ausgehungert und hätten sich ohnehin früher oder später
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