Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
Gedanken, dass wahrscheinlich alles anders gekommen wäre, wenn sie das Baumheiligtum erst später aufgesucht hätte. Sie dachte auch zurück an all die Erlebnisse, die sie mit Laio verbanden: wie sie sich damals in der Akademie kennengelernt hatten, die gemeinsame Reise zu Pewar und wie es der Knappe verstanden hatte, sich nicht von seinem Vater brechen zu lassen. Sie erinnerte sich an jede Schlacht, an die Augenblicke, wenn Laio ihr vor dem Kampf das von ihm geschliffene Schwert gereicht hatte, wie er ihr die Bänder ihrer Rüstung schnürte und sie noch mahnte, nur gut auf sich aufzupassen. Ihr Bild von ihm hatte nichts mit dem Jungen zu tun, der jetzt, unter ihren geöffneten Handflächen, vor ihr lag. Das war nicht Laio, das konnte nicht Laio sein.
Irgendwann - es wäre wohl in der Nacht gewesen, hätte man in diesem Land ewiger Dunkelheit überhaupt von Nacht sprechen können - fiel Nihal auf, dass Sennar vollkommen erschöpft war. Immer wieder sackte sein Kopf auf die Brust, seine Hände zitterten. Erst jetzt sah sie, dass auch Sennar verwundet war: Er blutete am Arm. »Du solltest dich besser mal ausruhen«, sagte sie zu ihm.
Doch der Magier antwortete nicht. Er machte einfach weiter, obwohl das Licht, das seine Handflächen ausstrahlten, nun immer schwächer wurde.
Nihal ergriff seine Hand. »Das bringt nichts, wenn du so müde bist. Ruh dich aus.« »Ich ...«
»Lass nur, ich kümmere mich um ihn.«
Schließlich gelang es ihr, ihn zu überzeugen. Kaum hatte er seinen Kopf auf dem Boden niedergelegt, da fiel er schon in tiefen Schlaf.
Ohne Licht zog der neue Tag herauf, in der Dunkelheit, die dieses Land ewig umfing. Sennar erwachte als Erster, und einen kurzen Moment lang war ihm, als habe er geträumt. Dann sah er Nihal, die neben Laio eingenickt war, und begriff, wie unausweichlich die Wirklichkeit war. Körperlich fühlte er sich erfrischt, doch in der Seele müde und alt. Nihal ein wenig zur Seite schiebend, untersuchte er den Schwerverletzten. Die Blutung war gestillt, doch die Wunde sah nicht weniger entsetzlich aus als zuvor. Der Atem des Jungen kam unregelmäßig.
In diesem Moment begriff Sennar, was geschehen würde, und schaffte es, den Gedanken anzunehmen. Er konnte nichts mehr für Laio tun. Undda all seine Zauber nicht wirkten, würde sich der Knappe schon bald in die Geisterarmee des Tyrannen einreihen. Dennoch machte er sich noch einmal daran, alle nur möglichen Heilformeln zu sprechen, denn er hatte sich geschworen, nichts unversucht zu lassen. Dabei wusste er, dass es sinnlos war.
Als Nihal erwachte, hatte Sennar nicht den Mut, sie anzublicken.
»Wie geht's Laio?«
»Das kann ich so noch nicht sagen«, antwortete Sennar ausweichend. »Aber vielleicht solltest du mal versuchen, draußen irgendwelche Heilkräuter zu finden.« »Was glaubst du denn, wann er aufwacht?«, fragte Nihal am Abend.
Sennar ließ den Blick auf ihr ruhen. Er hatte den Eindruck, sie habe beschlossen, die Wahrheit zu leugnen, und rede sich ein, Laio sei schon auf dem Weg der Besserung. Er fand keine passenden Worte, ihr zu antworten.
»Du hast mir immer noch nicht erzählt, was da auf der Lichtung passiert ist«, drang Nihal weiter auf ihn ein.
»Doch, das habe ich. Laio hat zwei Fammin getötet, bevor ihn der Mann, der sie befehligte, von hinten erwischte«, antwortete der Magier mit erschöpfter Stimme. »Dann muss ich ihm gratulieren, wenn er aufwacht. Dadurch ist er ein echter Krieger geworden«, bemerkte Nihal mit einem Lächeln.
Sennar ließ den Kopf gegen die Erdwand zurücksinken. Wie lange würde sie sich noch etwas vormachen können?
»Meinst du nicht, du solltest es jetzt noch mal mit einem anderen Zauber versuchen?«, fragte sie.
»Ich hab doch schon alles versucht.«
Die Miene der Halbelfe erstarrte. »Was willst du damit sagen?«
»Dass ich keine anderen Zauber mehr kenne, die ihm helfen könnten. Ich habe alles gegeben. Ich wüsste nicht, was ich noch versuchen sollte.«
»Aber er ist immer noch nicht aufgewacht...«, protestierte sie.
Sennars Antwort bestand aus einem hilflosen Blick.
»Du darfst aber nicht aufgeben. Ich weiß doch, dass alles gut wird«, beschwor sie ihn, aber ihre Stimme klang nicht mehr so sicher wie zuvor.
»Nihal, es hat doch keinen Sinn, auf etwas zu hoffen, das gar nicht eintreten kann«, murmelte Sennar.
»Was redest du denn da? Hast du denn vergessen, wie oft du mir das Leben gerettet hast? Damals in Salazar etwa war ich schwerer verwundet als Laio
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