Die Drachenkämpferin 03 - Der Talisman der Macht
Dörfer, zwischen rauchenden Trümmern und am Wegesrand faulenden Leichen hindurch. Er zeigte ihnen die Verzweiflung der Überlebenden, der Witwen und Waisen, die weit aufgerissenen, ins Nichts starrenden Augen jener Leute, die alles verloren hatten.
Die einen wandten den Blick ab, andere hörte er abends in ihrem Zelt weinen. Das war richtig. So musste es sein. Ein Krieger, der nicht erfüllt war von Abscheu vor dem Krieg und der Ungerechtigkeit, konnte im Kampf nicht sein Bestes geben.
Angesichts der Tränen eines seiner jüngsten Schüler gab sich Ido rau und lakonisch: »Anstatt zu heulen, solltest du lieber mal nachdenken. Ö ffne dein Herz für das, was du hier siehst, und frage dich, warum es das gibt. Und wenn du darüber nachgedacht hast, so frage dich, was du tun kannst, damit sich so etwas nicht wiederholt. Dann verstehst du auch, dass du dein Schwert nicht führst, weil dein Vater es dir in die Hand drückte, als du noch kaum laufen konntest, weil du stärker sein willst als andere oder damit sich die Mädchen nach dir umdrehen, wenn du vorübergehst, sondern für ein sehr viel edleres Ziel.« All das, was ihm in seinen langen Jahren im Krieg selbst klar geworden war, versuchte Ido seinen Schülern zu vermitteln, und diese Aufgabe spornte ihn an, denn sie bedeutete nicht nur, Soldaten auszubilden, sondern junge Männer zu formen, die später einmal für die Sache des Friedens würden einstehen können - wenn er denn jemals kommen sollte.
Vielleicht sollte ich das jetzt häufiger machen, vielleicht sollte ich mich auch um andere Schüler kümmern — das war ein Gedanke, bei dem er sich eines Tages überraschte. Wäre dies nicht auch eine gute Gelegenheit, die eigene Vergangenheit zu bewältigen? Dann wurde das richtige Verhalten in der Schlacht eingeübt, die Duelle jeder gegen jeden, in denen gelernt werden sollte, was zu tun war, wenn die Feinde von allen Seiten anstürmten. Ido war ein strenger Lehrmeister. Von seinen Schülern verlangte er die gleiche Disziplin und das gleiche Engagement wie von sich selbst. So laugte er sie aus mit Kämpfen und theoretischem Unterricht. »Einem echten Krieger wird nichts geschenkt«, antwortete er, wenn sich jemand beschwerte.
Neben der Ausbildung seiner jungen Soldaten war Ido auch an der letzten Vorbereitungsphase für die geplante Offensive beteiligt. Der Frühling ging zu Ende, und der Tag der Schlacht rückte näher. Zahlreiche Lagebesprechungen wurden abgehalten, und dabei kam man überein, dass Ido und seine Leute, eine etwa vierhundertköpfige Abteilung, darunter die Jungen aus der Akademie, in der ersten Linie stehen sollten. Die angehenden Ritter hingegen, die bereits das Drachenreiten beherrschten, sollten ihnen die Feuervögel vom Leibe halten. Das ganze Lager wirkte chaotisch in jenen Tagen: hektische Angriffsvorbereitungen, Soldaten überall, das Brüllen Dutzender Drachen, die sich in den Ställen drängten.
Als Ido den Jungen den Tag des Angriffs und ihre Aufgabe dabei mitteilte, bemerkte er, wie Angst die Reihen durchlief.
»Aber wir sind doch noch gar keine fertigen Krieger«, jammerte einer. »Doch, das seid ihr. Die Ausbildung, die ihr von mir erhalten habt, ist mehr als ausreichend. Und zudem verfügt ihr noch über die Kenntnisse aus der Akademie«, erwiderte Ido.
»Schon, aber die erste Linie müsste es ja nicht unbedingt sein ...«, versuchte ein anderer einzuwenden.
»Dafür haben wir euch aber ausgesucht und ausgebildet. Ihr seid keine gewöhnlichen Soldaten, vergesst das nicht.« Ido ließ seinen Blick über die eingeschüchterten Gesichter der Jungen wandern. »Lasst euch nicht von der Angst beherrschen. Als ihr in die Akademie eintratet, habt ihr eine Wahl getroffen. Ihr habt euch dazu entschlossen, euer Leben für ein Ideal aufs Spiel zu setzen, und nun ist der Moment gekommen, für diese Entscheidung geradezustehen. Angst ist eine normale, ja notwendige Reaktion. Sie zeigt, dass ihr euer Leben liebt, und Liebe zum Leben braucht es, um diese Aufgabe zu bewältigen. Doch ihr müsst eure Angst beherrschen. Ihr seid alle Teil eines Ganzen. Der Tod des einen macht es allen anderen möglich, weiterzukämpfen. Daran müsst ihr denken. Ihr kämpft nicht vergebens. Und wie gesagt, ihr habt alle die besten Voraussetzungen, nicht abgeschlachtet zu werden.«
Wie im Flug verging die Zeit, der kühle Frühling dieses Jahres war den ersten warmen Tagen des sich ankündigenden Sommers gewichen, und der Morgen der Schlacht war da.
Das Lager
Weitere Kostenlose Bücher