Die Drachenkrone ("Drachenkronen"-Trilogie) (German Edition)
die Mauern hinauf und blieb an einem offenen Fenster im Westflügel hängen. Die junge Gräfin trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Mykina konnte sie unmöglich gesehen haben, beruhigte sie sich, und doch fühlte sie sich von einemscharfen Blick durchbohrt. Wie schon so oft fragte sie sich, ob die unheimliche Frau wirklich das war, was sie zu sein vorgab: eine Schülerin der Magie, die bei Graf Therons Hofmagier Lahryn dienen und lernen wollte.
Was geht hier vor sich?, fragte sich Lamina beunruhigt. Sie zögerte einen Moment, doch dann eilte sie aus ihrem Zimmer, folgte dem düsteren Gang und klopfte an die Tür von Geralds Gemach. Nichts rührte sich. Sie klopfte noch einmal und trat dann ein. Lamina durchquerte den Vorraum und trat ins Schlafgemach ihres Gatten. Nichts deutete darauf hin, dass er es in dieser Nacht schon einmal betreten hatte. Sein Bett war unberührt, das Nachtgewand lag sauber gefaltet auf dem Kopfkissen. Lamina erstarrte. Sie spürte, wie die Angst nach ihr griff. Hatte sie, als Gerald von seiner langen Reise endlich zurückkehrte, noch gedacht, die schlimmste Zeit wäre vorüber, so fühlte sie plötzlich, dass die Stürme des vergangenen Jahres erst die Vorhut gewesen waren. Ein düsterer Schatten legte sich über die Burg, kroch in alle Ritzen und Herzen, doch sie konnte dem Schrecken keinen Namen geben, konnte das Böse um sich herum nicht greifen.
Ein Geräusch hinter ihr ließ sie herumfahren. In Reithosen und Stiefeln, den Mantel noch über der Schulter, stand der Graf im Schlafzimmer und betrachtete Lamina stirnrunzelnd.
»Warum bist du nicht in deinem Bett? Du solltest zu dieser Zeit schlafen«, sagte er barsch.
Da brach es aus ihr heraus. Was sie wochenlang mühsam in sich vergraben hatte, flutete in einem Strom hervor und ergoss sich über den Grafen.
»Sag mir, warum habe ich deine Liebe verloren? Gibst du mir die Schuld? Auch ich trauere um unseren Sohn, mehr als du dir vorstellen kannst! Musst du mich auch noch mit deiner Verachtung strafen?«
Etwas wie Erstaunen huschte über die Züge des Grafen. Zögernd legte er die Arme um sie und zog Lamina an seine Brust. Behutsam streichelte er ihren Rücken. »Niemand gibt dir die Schuld an einem tragischen Unfall. Gräme dich doch nicht so sehr.«
Mit tränennassem Blick sah sie zu ihm hoch.
»Was dann hat mir deine Liebe geraubt? Was ist in diesem Jahr geschehen, als du in der Ferne weiltest? Sag es mir, denn ich kann mit deiner Gleichgültigkeit nicht mehr weiterleben. Es ist, als habe ich für dich nie existiert.«
Die Lippen ihres Mannes zuckten, und er schwieg lange, ehe er antwortete.
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte er noch einmal. »In dieser Welt geschehen Dinge, die größer sind als unser Verstand. Sie nehmen keine Rücksicht auf einen armseligen Menschen und seine kleinen Gefühle. Ich kann es dir nicht erklären. Ich kann nur hoffen, dass du mir irgendwann vergibst.«
Sie sah fragend zu ihm hoch, und plötzlich flackerte wieder der vertraute Glanz in seinen Augen auf. Er beugte sich herab und küsste sie auf den Mund, erst zögernd und dann immer stürmischer. Der Mantel fiel zu Boden, das Nachtgewand folgte. In heißer Leidenschaft eng umschlungen, fielen sie in die weichen Kissen. Lamina vergaß ihre Angst, vergaß die Einsamkeit und die Leere der vergangenen Monate, und als sie in einen seligen Traum hinüberglitt,war sie sich sicher, dass nun das Glück zu ihr zurückkehren würde.
Als die junge Gräfin am späten Morgen erwachte, war Gerald verschwunden. Sie suchte ihn in der ganzen Burg, sie fragte alle Bediensteten, doch niemand hatte den Grafen gesehen. Was die ersten Stunden Erstaunen war, wurde am Abend Besorgnis und in der folgenden Nacht kalte Angst. Die Tage vergingen, doch Gerald von Theron blieb verschwunden. Eine Woche wachte und wartete Lamina vergeblich, dann packte sie zwei Bündel, ließ die Pferde für sich, ihre Zofe und einen der Wächter satteln und reiste nach Fenon, um sich Rat beim alten Advokaten des Grafen zu holen.
2
Die Abenteurer
T hunin warf der Elbe wieder einmal finstere Blicke zu, doch Ibis schien dies nicht zu bemerken. Leicht federnd und mit hoch erhobenem Haupt schritt die zierlich gebaute Elbe der Gruppe voran. Sie hatte langes, grünlich schimmerndes Haar, spitze Ohren und große, dunkelgrüne Augen, die sehr unschuldig dreinblicken konnten. Brummend stapfte der Zwerg hinter ihr her.
»Kein Respekt vor dem Alter«, maulte er. »Dieses unverschämte
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