Die Drachenlanze (Die Saga von den drei Königreichen) (German Edition)
ankamen, hielt der zukünftige König der Wolfinger für einen Moment inne: Lagen da nicht drei Drachenboote am grasgrünen Ufer? Schon wollte sich Ketill ängstlich umsehen, als er bemerkte, dass ihm das Glitzern der Sonnenstrahlen auf dem Wasser einen Streich gespielt hatte. Und die Vision, die eben noch so echt gewirkt hatte, verblasste vor seinem inneren Auge.
„Dort oben ist es.“ Eyvind deutete mit dem Finger den Hang hinauf. Über der grünen Wiese ragte ein dunkelbrauner Dachgiebel gen Himmel. „Hallders Halle“, triumphierte Ekke, einer der Skjellt äler. Die Männer ritten eilig den Hügel hinauf, nur Linja blieb sich umblickend zurück, so dass Ketill fragte: „Was ist? Stimmt etwas nicht?“
Sie schaute ihn an, als ob sie von einer fernen Reise zurückkehrte und sagte: „Nein, alles in Or dnung. Ich habe nur so ein Gefühl gehabt.“ „Komm, wir sind endlich da. Das muss gefeiert werden.“ Sie nickte und folgte ihm.
Ketill staunte, als er das ganze Ausmaß der Halle erblickte. Sie erstreckte sich bis in den Wald hi nein und war voll geschwungener Verzierungen, die in das alte Holz geschnitzt worden waren. Wölfe gingen in Bäume über, Drachenköpfe endeten in Blumen, Fische schlangen sich um Bäume – der Fantasie der Verzierungen schien keine Grenzen gesetzt worden zu sein. Während die Männer von ihren Pferden abstiegen und ihr Gepäck in die Halle trugen, fragte Ferni, warum diese Halle denn nicht mehr bewohnt sei und sich nicht jemand anderes diesen prächtigen Herrschaftssitz gesichert habe.
„Es gibt hier Geister ,“ erläuterte Eyvind. „Die Frauen, die Hallder und seine Männer hier zurückgelassen hatten, warteten vergeblich darauf, dass ihre Männer zurückkehren würden. Als es zwei Jahre nach der Abreise der Männer immer noch keine Kunde von ihnen kam, gingen die Frauen gemeinsam ins Wasser, wissend, dass sie den nächsten Winter nicht überleben würden, weil sie verhungern würden.“
„Was machen diese Geister?“, wollte Ferni wissen. Eyvind hob die Schultern. „Wahrscheinlich kommen sie nachts und kriechen unter deine Decke.“ Ferni ließ den Mund hängen und die Männer lachten.
„Wahrlich eines Königs würdig“; sagte Stikle, als er mit Ketill zusammen die Halle betrat. Licht kam, wie das bei den Norr so üblich war, nur durch die Tür herein. Erhellt wurde der Saal durch eine große Feuerstelle in der Mitte der Halle, weshalb er, wie in den meisten Hallen, stark nach Rauch roch. Ansonsten war der Innenraum so reich ausgestattet wie das Äußere. Es gab schwere Eichentische und Bänke, sogar einen Hochsitz und an der Wand hingen noch einige der Schilder der Männer, die vor vielen hundert Jahren hinausgezogen waren, um niemals wiederzukehren. Ketill bekam eine Gänsehaut.
Falls die anderen auch ein gewisses Unbehagen verspürten, ließen sie es sich nicht anmerken. L ediglich Linja schaute ungewöhnlich missmutig, während sie ihre Bettstatt in einer Ecke abseits von den Männern richtete. Die anderen waren schon damit beschäftigt, ein kleines Fass Moltebeerenmet anzustechen, um das Erreichen eines wichtigen Teilziels zu feiern. Hake lief herum, um die sich in den Trägern befindlichen Fackeln zu entzünden, bevor er auch das Feuer in der Mitte entfachte.
Ketill ging noch einmal nach draußen, um sich die letzten Sonnenstrahlen anzusehen. Er war heute etwas ruhiger und in sich gekehrter als noch vor drei Monaten, nun da sein Ziel und die damit verbundene Verantwortung immer näher rückte.
Er ging auf die Wiese, stellte al lerdings fest, dass das letzte Abendrot im Westen gerade dabei war, sich in ein tiefes Dunkelblau zu verwandeln. Als er wieder in die Halle gehen wollte, blieb er abrupt stehen. Neben dem Eingang, an der Waldseite der Halle, waren zwei Pfähle in die Erde gerammt worden, was ihm vorher nicht aufgefallen war. Zwischen diesen Pfählen saß ein Wesen, das ihn mit ihm bekannten Augen anblickte. Der Wolf war übernatürlich groß und hatte schwarzgraues Fell. Seine Schnauze war leicht zum Boden gesenkt und er schaute Ketill an, als wolle er ihm etwas mitteilen. Dieser stand starr da und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Wenn das der Wolf war, den er schon im Skjelltal gesehen hatte, wie war er dann hierher gekommen? War er den ganzen Weg gelaufen? Oder war dies ein anderer Wolf, der nur zufällig genauso aussah wie jener. Ketill rief die Namen der Skjelltäler aus: „Ekke, Görsten, Heimar, Larf, Olav!“ Niemand hörte ihn. Kein
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