Die Drachenreiter von Pern 10 - Der Renegaten von Pern
sie die Flüchtlinge tatsächlich fangen würden. Das würde alles verderben. So einfach sollte es nicht sein.
Jayge nahm sich auch die Zeit, nach einem möglichen Versteck innerhalb des Höhlenkomplexes zu suchen.
Bei seinen Streifzügen durch die weniger frequentierten Gänge fand er mehrere vielversprechende Räumlichkeiten, alle mit kleinen Eingängen, die teilweise oder ganz vor flüchtigen Blicken verborgen waren, aber nirgendwo entdeckte er Hinweise darauf, daß sie vor kurzem benützt worden wären.
Von einem Händler, einem alten Freund seines Vaters, erfuhr er, daß Thella und Giron zu der Zeit die Höhlen besucht hatten, als die Lilcamp-Amhold-Karawane die Fracht für >Ende der Welt< aufnahm. Er zeigte dem Händler die Skizze von Readis, und der bewunderte sie sehr, obwohl er Jayges Onkel damals nicht mit Thella zusammen gesehen hatte.
»Man hat das Gefühl, als fange der Mann gleich zu atmen an.
Gutaussehender Bursche. Mit dir verwandt, sagst du? Ja, die Familienähnlichkeit ist nicht zu leugnen. Wer hat das nur so treffend hinbekommen? Und womit? Holzkohle hätte sich längst verwischt. Blei, sagst du? Das ist aber teuer - sicher, als Händler hast du natürlich Beziehungen.«
Jayge opferte eine seiner wenigen Marken und kaufte einem anderen Händler eine zerschlissene, aber einigermaßen genaue Karte der Ostregionen ab: sie reichte von Keroon bis Benden, und zeigte auch Bitra und den östlichsten Teil von Lemos. An manchen Stellen verdeckten die Knicke im Pergament die Linien, aber auf der Karte waren auch Höhlen verzeichnet, große und kleine, mit oder ohne Wasser, sowie sämtliche Siedlungen und die besten Routen für verschiedene Transporte.
Außerdem hörte Jayge aufmerksam zu, wenn abends an den großen Feuern die Krüge herumgingen und sich in der geselligen Atmosphäre Gespräche entwickelten. Dowell und seine Familie hatten offenbar so lange in den Höhlen gelebt, daß sie allgemein bekannt waren. Die Leute konnten es noch immer nicht fassen, daß >ihre< Aramina sich nun im Benden-Weyr befinden sollte, wo die Eier heranreiften, aber sie waren fest überzeugt, daß >ihre< Aramina aus den Höhlen das Königinnen-Ei in Bendens Brutstätte für sich gewinnen würde, und sonnten sich bereits im Glanz ihres Erfolges. Inzwischen hatte man auch erfahren, daß Dowell, Barla und die beiden anderen Kinder nach Ruatha zurückgekehrt waren und von Baron Jaxom ihr altes Heim wiederbekommen hatten. Der Burgherr hatte ihnen auch Arbeiter geschickt, um die nötigen Reparaturen durchzuführen, und behandelte Barla in allem wie eine lange verschollene Verwandte. Die Familie war also eine halbe Welt von Thella entfernt, und Aramina befand sich im Benden-Weyr in Sicherheit.
Jayge schloß sich dieser Ansicht nicht an. Solange diese Frau noch atmete, war niemand vor ihr in Sicherheit. Er war auf seinen Reisen als Händler mit den verschiedensten Menschen zusammengetroffen und hatte die meisten guten Gewissens wieder vergessen können, sobald er weiterzog. Aber Thella war einmalig.
Noch nie hatte er jemanden kennengelernt, der so abgrundtief böse war. Sie hätte es verdient, in ein tiefes Loch mit glatten Wänden geworfen zu werden, um darin zu verhungern.
Endlich verwahrte Jayge das Päckchen mit der kostbaren Karte und den Skizzen von Readis sorgsam unter seinem Hemd, schwang sich auf Kesso und ritt dicht am klaren Wasser der Bucht von Keroon entlang nach Südosten. Er blieb auf verkehrsreichen Straßen, denn ein einsamer Reiter auf entlegenen Pfaden wäre eine allzu leichte Beute für Taschendiebe gewesen, die alles stahlen, was sie bekommen konnten.
Thellas Bande mochte die am besten organisierte und die erfolgreichste sein, aber sie war kaum die einzige.
Die Reise war ermüdend, dennoch schlief Jayge nicht gut. Immer wieder ließ er den verhängnisvollen Überfall an sich vorüberziehen: den Steinschlag, die umkippenden Wagen, die Felsbrocken, die ihr Ziel verfehlten und in die Schlucht hinunterpolterten. Auch seine eigene Rolle im Kampf beschäftigte ihn stets von neuem, und die Frage, wie er Temma vor der schrecklichen Verletzung hätte bewahren, wie er Nazer hätte schützen, wie er mehr Banditen hätte töten können, ließ ihn nicht los.
Der Anblick des Fußes und der Hand unter dem Geröll verfolgte ihn.
In seinen Träumen sah er sie ebenso zucken wie Armalds armseligen Leichnam auf der Kiesstraße. Auch Temma tauchte auf, mit durchbohrter Schulter, von dem mit Widerhaken versehenen Speer an
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