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Die drei Frauen von Westport

Titel: Die drei Frauen von Westport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathleen Schine
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förmlich verhalten und war mit den anderen verschwunden, als sei er nie da gewesen.
    »So was sollst du nicht tun«, hörte sie ihn sagen, und als sie nun doch aufschaute, sah sie, wie eines der beiden Mädchen – Juliet oder Ophelia oder meinetwegen auch Medea, dachte Annie gereizt – ihm ein honiggetränktes Stück Challa in die Hand drückte.
    Miranda trat hinter Frederick und zeigte auf den leeren Stuhl neben Annie.
    Die rasch wegschaute.
    »Neben Annie ist noch ein Platz frei«, sagte Miranda mit schriller Stimme zu Frederick. »Gehen Sie, gehen Sie!« Sie hatte ihm die Hand in den Nacken gelegt und gab ihm einen kleinen Schubs.
    Was hat sie nur?, dachte Annie und lief rot an.
    Was hat er nur?, fragte sich Miranda. Am liebsten hätte sie » Carpe diem, carpe, carpe, carpe !« geschrien. Sie fühlte sich ausgesprochen heldenhaft, weil sie der Liebe ihrer Schwester auf die Sprünge half, während sie selbst doch so einsam und bleischwer war. Sie hatte sich schon mehrmals ins Badezimmer zurückgezogen und nachgesehen, ob Kit ihr auf dem Handy eine Nachricht hinterlassen hatte, aber er hatte nicht mal eine SMS geschickt. Er saß natürlich noch im Flugzeug, das war ihr bewusst, machte ihr Gefühl vonVerlassenheit jedoch nicht weniger schmerzhaft. Zumindest hätte er ihr vor dem Abflug ein paarWorte schreiben oder ein Foto von Henry auf seinem Flugzeugsitz schicken können. Sie sehnte sich danach, wieder ihr Handy zu checken, musste nun aber abwarten, bis alle sich gesetzt hatten. Dann würde sie es heimlich aus ihrer Jackentasche angeln und unter dem Tisch draufschauen, so wie es Annies Söhne immer machten und wie sie selbst es getan hatte, als sie noch ein echtes Leben mit einem echten Beruf gehabt hatte. Der Gedanke an ihre ruinierte Karriere, von dem sie in den letzten friedvollenWochen unbehelligt geblieben war, suchte sie nun wieder heim, ätzend und gallebitter. Aufgebracht stupste Miranda Frederick erneut an.Wenn sie selbst schon jeden und alles verloren hatte, dann sollte wenigstens Annie ihren Schriftsteller kriegen.
    Frederick zögerte, murmelte, er müsse in der Nähe seiner Enkelinnen bleiben. Juliet und Ophelia, deren gefältelte rote Samtkleidchen inzwischen flächendeckend mit goldenem Honig beschmiert und mit gelben Challa-Bröseln gespickt waren, lächelten Miranda an und leckten ihre Finger ab.
    Im Hintergrund hörte Annie eine Männerstimme, von einem Rauschen unterlegt. Es handelte sich um R osalynsVater, Mr. Shpuntov, der sich in seinem Zimmer befand und im Esszimmer über die Sprechanlage zu vernehmen war, die immer eingeschaltet war, damit man ihn überall hören konnte.
    »Er hat Bananen verkauft«, sagte Mr. Shpuntov gerade. »Hat sie zum R eifen im Keller aufgehängt. Haben Sie in Brooklyn schon mal Bananen gesehen, Mr. Acht-Null-Sieben? Einen Keller voller Bananen in Brooklyn …«
    Mr. Acht-Null-Sieben? Annie schaute auf ihre Uhr. Ah. Mr. Shpuntov erzählte der Uhr Geschichten.
    »Es war wunderbar, die Damen hier zu treffen«, sagte Frederick am Ende des Abends zu Annie, Miranda und Betty.
    Miranda blickte ihn verächtlich an.
    »Ach du meine Güte! Komm schnell, Mutter!«, sagte sie dann. »Mr. Shpuntov trinkt gerade alle Neigen aus.« Und sie zog ihre Mutter mit sich, damit sie mit vereinten Kräften Mr. Shpuntov davon abhalten konnten, sich nacheinander die R este aus jedem Weinglas am Tisch zu Gemüte zu führen.
    Doch während Miranda Mr. Shpuntov ein Kelchglas aus der Hand nahm, sah sie, dass Frederick nicht – wie sie gehofft hatte – die Gelegenheit für einen innigen Abschied von Annie nutzte. Er nickte lediglich, sagte: »Also, auf Wiedersehen«, ging hinaus und wartete vor der Haustür, während Gwen die Mädchen hochhob, damit Cousin Lou sich mit Küsschen von ihnen verabschieden konnte.
    »Was war denn mit Frederick los?«, fragte Miranda ihre Schwester auf dem Heimweg.
    »Was meinst du damit?«
    »Was ich damit meine? Das weißt du doch genau. Er war so komisch kühl und distanziert.«
    »Ich fand ihn sehr angenehm«, erwiderte Annie. Aber als sie später alleine war, kamen ihr dieWorte ihrer Schwester wieder in den Sinn:Was war mit Frederick los?

11
    Die Morgendämmerung brach immer später an, die Luft wurde kühl. Westports Schönheit welkte und entzog sich dem Blick. Was vordem grün und üppig gewesen war, wurde dürr und unansehnlich. Die Straßen waren nicht mehr von windgezausten Bäumen, sondern von kahlen Baumgerippen gesäumt. Ihrer Blätterschleier

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