Die drei Frauen von Westport
Kindes, obwohl sie etwas älter zu sein schien als Kit. Der Bursche hat offenbar ein Muster, was ältere Frauen angeht, dachte Annie, als sie Leannes freundliches Lächeln erwiderte.
Henry kletterte über den Schoß seiner Mutter zum Fenster, drückte sich die Nase an der Scheibe platt und sang in wirrer Folge das Alphabet vor sich hin, während er Autos beobachtete.
»Sie waren in Afrika?«, sagte Annie, in dem Bestreben, Konversation zu machen, ohne Kit Maybank zu erwähnen.
»Ja, aber jetzt wohnen wir bei meinerTante. Jemand muss sich um sie kümmern, und das Haus ist riesig.«
»Ja, das habe ich gehört«, erwiderte Annie und verfiel in ein unbehagliches Schweigen, denn von wem außer Kit sollte sie das wohl gehört haben?
Henry löste sich vom Fenster und sah zu, wie der Schaffner ein Loch in die Fahrkarte seiner Mutter, nicht jedoch in Annies Monatskarte knipste. Annie sagte ihm, dass sie Pendlerin sei, und erklärte ihm dann dasWort.
»Du fährst jeden Tag mit dem Zug?«, fragte er staunend und sichtlich neidisch.
»Zweimal sogar.«
» Wir haben Dinosaurier gesehen«, erwiderte er leicht trotzig.
Danach kam das Gespräch zum Erliegen, bis sich der ZugWestport näherte.
»Wir steigen erst in Greens Farms aus«, sagte Leanne, als Annie ihren Mantel anzog.
»Ach ja, natürlich. Greens Farms ist ja viel näher am Haus IhrerTante. Ich mag diesen Bahnhof sehr gerne. Und die kleine altmodische Post dort. Gehört zu meinen Lieblingsorten inWestport.«
Leanne lachte.
»Ich will mitgehen zu Randa«, verlangte Henry.
»Tante Charlotte haben Sie nie kennen gelernt, oder?«, fragte Leanne.
»Ich will mit zu Randa«, wiederholte Henry.
Annie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe sie nie kennen gelernt.«
»Liegt nahe. Kit und sie verstehen sich überhaupt nicht.«
»Aber Sie scheinen gut mit ihr auszukommen«, sagte Annie.
»O ja. Sie ist zwar eine Art Drache, aber wir lieben sie, nicht wahr, Henry?«
Henry nuckelte stumm an seiner Faust.
KeinWunder, dass Kit in dem alten Bootshaus gewohnt hatte. Aber weshalb war er mit seinerTante zerstritten? Und wieso besaß seine Exfrau dasVertrauen der alten Dame? Annie hätte dieses interessante Gespräch gerne fortgesetzt. Das Ganze ging sie natürlich nichts an. Aber das verhielt sich bei Klatsch undTratsch schließlich immer so.
Henry war nun zu einem lautstarken Singsang übergegangen, um seinemVerlangen nach Randa Ausdruck zu verleihen. Annie fragte sich, ob sie etwas dazu sagen sollte. Sie wusste, dass Miranda überglücklich sein würde, Henry wiederzusehen. Doch vielleicht wäre Henrys Mutter durchaus nicht überglücklich, wenn sie ihren Sohn bei der Exfreundin ihres Exmannes zurücklassen sollte. Die Angelegenheit war ziemlich delikat.
»Ich will –«
»Schon gut, schon gut«, sagte Leanne und legte Henry die Hand auf den Mund. »Hören Sie«, sagte sie kurz entschlossen zu Annie. »Kommen Sie doch alle zu uns zum Tee. Ja. Das wäre ideal.« Sie nahm die Hand von Henrys Mund, kramte in ihrer Tasche herum und brachte eine Visitenkarte zum Vorschein, die sie Annie mit bezauberndem Lächeln und entschiedener Geste entgegenstreckte. »Dann haben wir ja alles geklärt.«
Annie lachte. Leanne erinnerte sie ein bisschen an Miranda.
Während Annie mit dem Pendlerzug von New York nachWestport fuhr, war Frederick mit dem Amtrak-Zug von Boston nach New York unterwegs. Er befand sich nicht in Begleitung von Crystal und Amber. Die beiden waren eineWoche zuvor mit seinemWagen nach Great Barrington gefahren, wo sie wiederum als Haushüterinnen tätig waren (dasWort »Heimhüterinnen« fand Frederick so peinlich, dass er es nicht einmal denken mochte). Danach würden sie in New York zu ihm stoßen und bei Felicity und Joe in der großenWohnung am Central ParkWest wohnen, was Felicity allerdings noch nicht wusste. Amber und Crystal würden ihr als Überraschung präsentiert werden. Frederick lachte in sich hinein, als er sich die Miene seiner Schwester vorstellte. Die konnten ihm alle gestohlen bleiben, beschloss er. Er verlangte wirklich nicht viel vom Leben. Er wollte nur in R uhe in seinem Arbeitszimmer sitzen, dem Meeresrauschen zuhören und Bücher schreiben. Wieso gab es ständig so ein Chaos?
Frederick lehnte sich zurück, schloss die Augen und bemühte sich, an etwas anderes zu denken als das Chaos. Er musste eine Buchrezension schreiben und versuchte, den ersten Satz zu entwerfen, aber der R oman, eine karge, schmerzhafte Geschichte, die in LasVegas
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