Die drei Musketiere
»Zunächst zu Athos, und wenn Sie mitkommen wollen, so bitte ich Sie, sich tunlichst zu beeilen, denn wir haben bereits viel Zeit verloren. Instruieren Sie Bazin!« – »Was? Soll der auch mit?« – »Vielleicht.
Jedenfalls wird es gut sein, ihn jetzt mit zu Athos zu nehmen.«
Aramis rief Bazin und befahl ihm, ihn bei Athos zu treffen.
Dann nahm er Mantel, Degen und drei Pistolen, zog
überflüssigerweise drei, vier Schubfächer auf, um sich zu vergewissern, daß er nicht etwa andere Pistolen darin
zurücklasse, und folgte, als er sich vom Gegenteil überzeugt hatte, dem Freunde, während er sich die Frage vorhielt, wie es dem jungen Gardisten möglich gewesen sei, so genau zu
erfahren, wer die Frau sei, der er bei sich Unterkunft gewährt hatte, und besser als er zu wissen, was aus ihr geworden war.
Ehe er den Fuß über die Schwelle setzte, legte er die Hand auf die Schulter des Freundes, sah ihm fest in die Augen und fragte:
»Gesprochen haben Sie mit niemand über die Frau?« – »Mit keiner Seele.« – »Auch nicht mit Athos und Porthos?« – »Mit keiner Silbe.« – »Recht so! Recht so!«
Über diesen wichtigen Punkt beruhigt, folgte Aramis dem Freund zu Athos. Sie trafen ihn, mit seinem Urlaubspaß in der
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einen und einem Schreiben des Herrn von Tréville in der andern Hand... »Können Sie mir erklären, was dieser Paß und dieser Brief bedeuten, die ich eben erhalten?« fragte Athos, vor Verwunderung außer sich.
»Mein lieber Athos«, lautete das Schreiben, »da Ihre
Gesundheit es unbedingt erfordert, daß Sie sich vierzehn Tage erholen, erteile ich Ihnen auf diese Zeit Urlaub, den Sie in Forges oder sonst einem Ihnen genehmen Badeort verleben mögen. Mit dem Wunsch, daß Sie sich gut erholen möchten, bin ich Ihr wohlgeneigter Tréville.«
»Nun, Paß und Brief bedeuten, daß Sie mir folgen sollen, Athos.«
»Im Dienst des Königs?« – »Des Königs oder der Königin; sind wir nicht Diener beider Majestäten?« – In diesem Augenblick trat Porthos ein. »Donnerwetter!« rief er, »so etwas ist ja noch nie dagewesen! Seit wann gibt's bei den Musketieren Urlaub, ohne daß man ihn verlangt?« – »Seit es Freunde in der Welt gibt, die Urlaub für die Musketiere fordern.« – »Ah!« rief Porthos, »wie es scheint, gehen neue Dinge vor!« – »Jawohl«, antwortete Aramis, »das heißt, wir gehen, auf die Reise!« –
»Wohin?« fragte Porthos. – »Meiner Treu«, erklärte Athos,
»darauf weiß ich nichts zu erwidern; da mußt du dich schon an d'Artagnan wenden.« – »Nach London geht die Reise, meine Herren«, erklärte d'Artagnan. – »London!« rief Porthos, »und was wollen wir dort?« – »Das kann ich Ihnen nicht sagen, meine Herren; in dieser Hinsicht müssen Sie mir blindlings vertrauen.«
– »Aber, um nach London zu gehen, braucht man Geld, und ich habe keines.« – »Ich auch nicht«, schloß Aramis sich diesen Worten des Freundes an, und Athos versicherte dasselbe.
»Aber ich habe welches«, rief d'Artagnan, zog seinen Schatz aus der Tasche und schüttete ihn auf den Tisch. »Da sind dreihundert Pistolen, für jeden fünfundsiebzig; das reicht bis London und zurück. Nur ruhig, meine Herren! Es wird um so besser reichen, als wir schwerlich alle bis London gelangen
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werden.« – »Und wieso das?« – »Weil aller Wahrscheinlichkeit nach ein paar von uns unterwegs werden haltmachen müssen.«
»Oho! So ist's wohl ein richtiger Feldzug, den wir
unternehmen?« – »Einer der gefährlichsten, auf den Musketiere bis jetzt ausgezogen sind, wie Ihr mir dreist glauben dürft.« –
»Oho! Aber, wenn wir uns in Lebensgefahr bringen sollen«, sagte Porthos, »so möchte ich doch wenigstens wissen,
warum?« – »Darüber wirst du nicht lange im unklaren bleiben«, meinte Athos. – »Ich muß aber sagen«, erklärte Aramis, »daß ich ganz der Ansicht unseres Freundes Porthos bin.« – »Ist es Gewohnheit Seiner Majestät, Rechenschaft abzulegen? Nein! Er sagt rundheraus: Meine Herren, in der Gascogne oder in Flandern wird Krieg geführt; marschiert hin und helft mit schlagen! Warum? Darüber braucht sich doch keiner ein graues Haar wachsen zu lassen.« – »D'Artagnan hat recht«, erklärte Athos »Hier sind unsere drei Urlaubspässe, von Herrn von Tréville ausgestellt, und da dreihundert Pistolen, die Gott weiß woher stammen. Lassen wir uns vom Leben zum Tode
spedieren dort, wohin man uns spediert. Lohnt's denn, um das bißchen Leben soviel
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