Die drei Musketiere 2
einzudringen.
Endlich schlug es elf Uhr. Er trat mit klopfendem Herzen in das Haus und stürzte zu Kittys Zimmer.
Das junge Mädchen wollte, bleich wie der Tod, an allen Gliedern zitternd, d’Artagnan zurückhalten, aber Mylady hatte das durch seinen Eintritt verursachte Geräusch vernommen, öffnete die Tür und hieß ihn eintreten. D’Artagnan konnte 58
keinen vernünftigen Gedanken mehr fassen und glaubte, einen jener phantastischen Träume zu erleben, die uns mitunter überkommen.
Die Tür schloß sich hinter ihm.
Kitty stürzte ebenfalls nach der Tür.
Die Eifersucht, die Wut, der beleidigte Stolz, alle Leidenschaften trieben sie zu einer Enthüllung, aber sie war verloren, wenn sie gestand, daß sie die Hände bei einem solchen Betrug im Spiel gehabt hatte, und, was mehr als alles wog –
d’Artagnan war für sie verloren. Dieser letzte Gedanke riet ihr, noch ein Opfer zu bringen.
D’Artagnan überließ sich seinerseits ganz den Eingebungen seiner Eitelkeit.
Mylady war eine reizende Frau, die die Liebe selbst zu fühlen vorgab, die sie einflößte. Er gab sich ganz diesem Taumel hin, dem auch sie zu erliegen schien. Nach zwei Stunden völliger Vergessenheit kam Mylady zuerst zur Wirklichkeit zurück, und sie fragte ihn, ob er sich schon ausgedacht habe, wie er am andern Tage einen Streit mit dem Comte de Wardes
herbeiführen wollte.
D’Artagnan jedoch, dessen Gedanken jedem Rachegefühl fern waren, vergaß sich und antwortete schmeichelnd, in ihrer Nähe, wo er sich nur ganz dem Glück hingebe, sie zu hören und zu sehen, könne er sich unmöglich mit Duellen und Degenstößen beschäftigen.
»Habt Ihr vielleicht Angst, Monsieur d’Artagnan?« rief sie in einem spitzen, spöttischen Ton, der seltsam in den Ohren des jungen Mannes klang. – »Das kann nicht Euer Ernst sein, meine teure Seele, aber wenn dieser arme Comte de Wardes am Ende minder schuldig wäre als Ihr glaubt?« – »In jedem Fall hat er mich getäuscht, und von dem Augenblick an, wo er mich getäuscht hat, verdient er den Tod.« – »Er wird also sterben, da Ihr ihn verurteilt«, sagte d’Artagnan mit so festem Ton, der 59
Mylady als der Ausdruck einer jede Prüfung bestehenden Ergebenheit erschien, und sie lächelte ihm von neuem zu.
»Ja, ich bin ganz bereit«, rief nun d’Artagnan in
unwillkürlicher Begeisterung, »aber vorher wünschte ich einer Sache gewiß zu sein.« – »Und welcher?« – »Daß Ihr mich liebt.« – »Eure Anwesenheit hier scheint mir der beste Beweis zu sein«, antwortete sie mit scheinbarer Verlegenheit. – »Ja. Ich bin auch Euer mit Leib und Seele. Verfügt über meinen Arm!« –
»Ich danke, mein tapferer Verteidiger, und ebenso, wie ich Euch meine Liebe dadurch beweise, daß ich Euch hier empfange, werdet Ihr mir die Eurige beweisen, nicht wahr?« – »Ganz gewiß. Aber wenn Ihr mich liebt, wie Ihr sagt, habt Ihr gar keine Besorgnis um mich?« – »Was sollte ich fürchten?« – »Daß ich gefährlich verwundet oder gar getötet werde?« – »Unmöglich!«
sagte Mylady, »Ihr seid ein so mutiger Mann und führt so geschickt Euren Degen!« – »Ihr würdet also nicht ein Mittel vorziehen, das Euch ohne Kampf rächte?«
Mylady schaute den jungen Mann schweigend an. Ihre klaren Augen hatten einen seltsam düsteren Ausdruck angenommen.
»In der Tat«, sagte sie, »ich glaube, Ihr zaudert abermals!« –
»Nein, ich zaudere nicht, aber der arme Comte de Wardes tut mir leid, seit Ihr ihn nicht mehr liebt, und es scheint mir, ein Mann muß schon durch den Verlust Eurer Liebe so grausam bestraft sein, daß er keiner anderen Züchtigung mehr bedarf. Es tut mir leid um ihn.« – »Euch?« – »Ja.« – »Und warum?« –
»Weil ich allein weiß …« – »Was?« – »Daß er bei weitem nicht so schuldig gegen Euch ist oder war, als es scheint.« – »In der Tat?« sagte Mylady mit unruhiger Miene, »erklärt Euch, denn ich weiß wahrhaftig nicht, was Ihr damit sagen wollt.«
Und sie schaute d’Artagnan mit Augen an, in denen sich allmählich ein düsteres Feuer entzündete.
»Ja, ich bin ein ehrlicher Mann«, sagte d’Artagnan, entschlossen, ein Ende zu machen, »und seit Ihr mir Eure Liebe gestanden habt, seit ich ihres Besitzes gewiß bin, denn nicht 60
wahr, ich besitze sie?« – »Ganz und gar. Fahrt fort.« – »Seitdem drückt mich ein Geständnis.« – »Ein Geständnis?« – »Hätte ich an Eurer Liebe gezweifelt, so würde ich es nicht abgelegt haben, aber Ihr
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