Die drei Musketiere 2
die Höhe, streckte den Arm so aus, daß die Pistole fast ihre Stirn berührte, und sagte dann mit einer Stimme, die um so furchtbarer klang, als die überwältigende Ruhe eines unbeugsamen Entschlusses daraus hervortrat: »Madame, Ihr werdet auf der Stelle das Papier herausgeben, das Euch der Kardinal unterzeichnet hat, oder bei meiner Seele, ich schieße Euch über den Haufen. Ihr habt eine Sekunde, um Euch zu entscheiden«, rief er, als sie unbeweglich blieb.
Sein Gesichtsausdruck verriet ihr, daß es ihm mit diesen Worten ernst war.
Sie fuhr rasch mit der Hand an ihre Brust, zog ein Papier hervor und reichte es Athos mit den Worten: »Nehmt und seid verflucht!«
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Athos nahm das Papier, steckte die Pistole wieder in seinen Gürtel, näherte sich der Lampe, um sich zu überzeugen, daß es das geforderte Papier war, entfaltete es und las:
»Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Inhaber dieses Scheines getan, was er getan hat. Den 5. August 1628
Richelieu.«
»Und nun«, sagte Athos, indem er seinen Mantel wieder nahm und den Hut aufsetzte, »und nun, Viper, da ich dir die Zähne ausgerissen habe, beiß, wenn du kannst.«
Hierauf verließ er das Zimmer, ohne sich nur umzuschauen.
Vor der Tür fand er die beiden Männer und das Pferd, das sie an der Hand hielten.
»Messieurs«, sagte er, »Monseigneur befiehlt, diese Frau ohne Zeitverlust nach dem Fort de la Pointe zu führen und sie nicht eher zu verlassen, als bis sie an Bord ist.«
Da diese Worte mit dem Befehl, den sie erhalten hatten, übereinstimmten, so verbeugten sie sich leicht zum Zeichen der Bestätigung. Athos gab seinem Pferd kräftig die Sporen, überholte auf einem Nebenweg die Gefährten und machte zweihundert Schritte vom Lager entfernt halt.
»Wer da?« rief er von fern, als er Richelieu und seiner Begleitung ansichtig wurde.
»Das ist, glaube ich, unser braver Musketier«, sagte der Kardinal.
»Ja, Monseigneur«, erwiderte Athos, »er ist es.«
»Monsieur Athos«, sagte Richelieu, »empfangt meinen Dank, daß Ihr so gute Wache gehalten habt. Messieurs, wir sind an Ort und Stelle, reitet durch das Tor links, das Losungswort ist: ›Der König und Ré‹.«
Nach diesen Worten nickte der Kardinal den drei Freunden mit dem Kopf zu und ritt mit seinem Stallmeister nach rechts, denn diese Nacht schlief er selbst im Lager.
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»Nun, wie steht es?« fragten Porthos und Aramis, als der Kardinal außer dem Bereich ihrer Stimmen war, »hat er das von ihr geforderte Papier unterzeichnet?« – »Allerdings, ich habe es hier.«
Und die drei Freunde wechselten keine Silbe mehr, bis sie in ihrem Quartier angelangt waren.
Man ließ nun Planchet durch Mousqueton sagen, sein Herr werde gebeten, wenn er von der Wache komme, sich sogleich nach der Wohnung der Musketiere zu begeben.
Als Mylady die Männer vor der Tür erblickte, folgte sie ihnen. Wohl hatte sie einen Augenblick Lust, sich zu dem Kardinal zurückführen zu lassen und ihm alles zu erzählen, aber eine Enthüllung ihrerseits führte eine Enthüllung von Athos herbei. Sie hielt es also für das klügste zu schweigen, in der Stille abzureisen, mit ihrer gewöhnlichen Gewandtheit die Sendung zu erfüllen, die sie übernommen hatte, und wenn alles zur Zufriedenheit des Kardinals vollzogen wäre, Rache von ihm zu fordern.
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Als d’Artagnan bei den drei Freunden eintraf, fand er sie in demselben Zimmer versammelt. Athos war in Nachdenken verfallen, Porthos kräuselte seinen Schnurrbart. Aramis betete aus einem reizenden, in blauen Samt gebundenen Büchlein.
»Aramis«, sagte Athos, »ich glaube, du hast vorgestern in der Herberge zum Parpaillot gefrühstückt. Wie ißt man dort? Kann man für sich sein und wird nicht viel gestört?«
»Ich glaube, Athos, in dieser Beziehung werden wir beim Parpaillot ganz gut dran sein.«
»Also auf zum Parpaillot«, sagte Athos, »denn hier sind die Wände wie Papierblätter.«
D’Artagnan, der begriff, was sein Freund meinte, nahm Athos 120
beim Arm und entfernte sich mit ihm, ohne ein Wort zu sagen.
Porthos folgte, mit Aramis plaudernd.
Als sie zur Wirtschaft zum Parpaillot kamen, war es sieben Uhr morgens, und es wurde eben Tag. Die vier Freunde bestellten ein Frühstück und traten in eine Stube ein, wo sie nach Aussage des Wirtes nicht gestört werden sollten. Zum Unglück war die Stunde zu einer Beratung schlecht gewählt.
Man hatte gerade Tagwache geschlagen und jeder nahm in der Trinkstube einen Schluck zu sich,
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