Die drei Musketiere Trilogie 03 - Zehn Jahre später
»Morgen früh.« – Um sieben Uhr war Colbert zur Stelle. Er mußte bis zehn Uhr warten. Dann ließ Mazarin ihn vor und übergab ihm eigenhändig ein Paket. »An den Staatssekretär Letellier,« sagte er und schob Colbert mit freundlichem Lächeln zur Tür. – »Und der Brief der Königin-Mutter?« fragte Colbert. – »Ist im Paket,« antwortete Mazarin. – Colbert nahm den Hut zwischen die Knie und zerriß das Siegel. – »Was fällt Ihnen ein?« rief der Kardinal. »Trauen Sie meinem Wort nicht? Welche unerhörte Frechheit!« – »Ihrem Worte selbstverständlich,« versetzte Colbert ganz ruhig. »Aber Ihr Kanzleipersonal ist vielleicht nicht so zuverlässig – so ein Brief wird leicht vergessen – und sehen Sie, daß ich recht habe. Er ist wirklich in der Kanzlei vergessen worden – er ist nicht im Paket.« – »Unverschämter Mensch!« rief Mazarin, entriß ihm das Paket und lief hinaus. – Nun erschien Colbert an jedem Morgen, so oft er abgewiesen wurde, und endlich mußte Mazarin den Brief der Königin-Mutter herausrücken. Colbert prüfte das Schriftstück von allen Seiten, hieltes sich sogar an die Nase und unterzog die Schriftzüge einer so genauen Untersuchung, als wenn er es mit dem gemeinsten Fälscher zu tun gehabt hätte. Mazarin schäumte vor Wut, aber Colbert kehrte sich gar nicht daran. Als später all diese Dinge vergessen waren und Mazarin so fest saß wie nie zuvor, da erinnerte er sich dieses Schreibers und der Hartnäckigkeit, die er bewiesen, und nahm ihn zu sich. Colbert erwarb sich rasch die Gunst Mazarins und wurde ihm mit der Zeit ganz unentbehrlich. Er gestattete ihm Einblick in alle seine Geschäfte, so daß Colbert, umsichtig und scharfblickend wie er war, nicht nur über die Staatsfinanzen, sondern auch über die persönlichen Vermögensverhältnisse Mazarins genau unterrichtet war.
Als nun Mazarin sich dem Ende nahe glaubte, rief er Colbert sofort zu sich, um mit ihm schleunigst alles in Ordnung zu bringen. »Es kann sein, daß ich das Zeitliche segnen muß, Colbert,« sprach er, »da ist es not, daß wir ein ernstes Wort miteinander reden.« – »Sterben muß jeder Mensch,« antwortete Colbert gelassen. – »Ich habe dies stets vor Augen gehabt und dafür gesorgt, daß ich nicht mittellos sterbe. Wie hoch schätzen Sie mein Vermögen?« – »Auf vierzig Millionen und 560 000 Livres.« Der Kardinal seufzte tief auf und lächelte mühsam. – »Das ist die bekannte Höhe,« setzte Colbert hinzu. – »Was meinen Sie damit?« fragte Mazarin erstaunt. – »Außer dieser Summe sind noch 13 Millionen vorhanden, von denen niemand etwas weiß. Sie sterben als reicher Mann, Eminenz, während der König keine 500 000 Livres in der Schatulle hat.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fuhr Mazarin auf. »Habe ich mein Gehalt zu Unrecht bezogen? Habe ichetwa nicht Ordnung in die Finanzen des Reichs gebracht? Wieviel der König hat, das ist Sache seines Schatzmeisters. Dafür hat Fouquet aufzukommen. Mich geht das gar nichts an. Wollen Sie damit sagen, ich müßte dem König mein Geld vermachen? Ich denke nicht daran – ein paar Legate, ja, aber alles nicht! Ich kann meine Verwandten nicht benachteiligen.« – »Eminenz,« antwortete der unerschütterliche Sekretär, »ein Legat wäre eine Beleidigung des Königs und könnte so ausgelegt werden, als wenn Sie diesen Teil Ihres Vermögens als unrecht erworben ansähen.« – »Also muten Sie mir im Ernst zu, all mein Geld in die Schatulle des Königs zu werfen?« rief Mazarin ironisch. »Das wäre ein gefundener Bissen für Ludwig XIV. Er würde sich ins Fäustchen lachen und meine sauer ersparten Taler bald verschwendet haben.«
»Eure Eminenz sehen in diesem Punkte falsch,« erwiderte Colbert. »Sie beurteilen den Charakter Ludwigs XIV. nicht ganz richtig. Wenn ihm gewisse Dinge gesagt werden, so wird er die Schenkung nicht annehmen.« – »Sie meinen, er würde 40 Millionen zurückweisen? Und was sind denn das für Dinge, die ihm gesagt werden müßten?« – »Die will ich niederschreiben, wenn Eminenz sie mir diktieren wollen,« antwortete Colbert in vielsagendem Tone. – »Und was hätte ich von diesem gewagten Experiment?« fragte der Kardinal. – »Einen ungeheuren Vorteil,« antwortete Colbert, »niemand wird dann Eure Eminenz noch des Geizes anklagen können, wie dies bisweilen in Flugblättern ungerechterweise geschehen ist. Der glänzendste Geist unsers Jahrhunderts wird dann von diesem Vorwurf auf immer befreit
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