Die dreißig tolldreisten Geschichten - 3 (German Edition)
daß sie sich erst nach dem Herbst zu der genannten Verbindung entschließen wolle. So sehr liegt es in der Natur der Liebe, sich an die Hoffnung zu klammern, auch wenn diese verlockende und trügerische Person noch so unglaublich närrisch aufgeputzt ist.
Während des ganzen Monats der Weinlese wollte Frau Imperia ihren Gatten nicht mehr von sich lassen, sie erfand immer neue Freuden für ihn und umflammte ihn dergestalt mit dem Feuer ihrer Liebe, daß man hätte glauben können, sie wollte ihn ersticken in ihrer Glut. Sie war jede neue Nacht eine neue Frau für den vielgeliebten Mann. Dann, beim Erwachen, bat sie ihn, die vollkommene Liebe gut in seinem Gedächtnis zu bewahren. Und um das Herz ihres Freundes zu prüfen, sagte sie:
»Armer Schatz, das war nicht klug von dir, mit deinen dreiundzwanzig Jahren eine alte Frau von beinahe vierzig zu nehmen.«
Sein Glück, sprach er, sei ihm von Tausenden geneidet worden; denn unter allen Jungfrauen des Landes sei keine zu finden, die es mit ihr, der einzigen, aufnehmen könnte, trotz ihrer Jahre, als welche er darum lieben müsse bis in den Tod, dergestalt, daß ihre Runzeln, wenn sie je altem sollte, ihm noch teurer wären, ja, daß er überzeugt sei, sie auch im Grabe und als Skelett noch liebenswürdig zu finden.
Bei diesen Worten traten der armen Frau die Tränen in die Augen. Aber sie verstellte sich.
Das Fräulein von Montmorency, sagte sie wie im Spott, sei doch sehr schön und sei so treu.
»Ach«, antwortete er, »das ist hart von Euch, mich an das einzige Unrecht zu erinnern, das ich in meinem Leben begangen, indem ich meiner Braut das Gelöbnis brach, nachdem meine Liebe zu ihr von Euch in meinem Herzen getötet worden.«
Bei diesem offenen Geständnis zog sie ihn heftig in ihre Arme und preßte ihn an sich, tief gerührt von seinen ehrlichen Worten, die manch einer nicht ohne Bitternis hervorgebracht hätte.
»Teurer Freund«, sprach sie, »seit mehreren Tagen fühle ich einen Krampf im Herzen, ein Übel, das mich schon in meinen jungen Jahren mit dem Tode bedroht hat und dessen Gefährlichkeit mir von dem arabischen Arzt bestätigt wurde. Wenn ich sterben sollte, ist es mein Wille, daß du mir dein heiligstes Ritterwort gibst, das Fräulein von Montmorency zur Frau zu nehmen. Ich habe ganz bestimmte Todesahnungen, und ich vermache all mein Vermögen deinem Hause unter der Bedingung dieser Heirat.«
Als Villiers de l'Isle-Adam seine gute Frau so sprechen hörte, erzitterte er. Der Gedanke einer ewigen Trennung von ihr schien ihm unerträglich.
»Oh, mein geliebter Schatz«, fuhr sie fort, »Gott hat mich da gestraft, wo ich am meisten gesündigt habe; die großen Freuden, die ich genießen durfte, haben mein Herz geschwächt und, wie der arabische Doktor mir erklärte, die Blutgefäße so vermürbt, daß eines Tages die Ekstase der Umarmung meinem Leben ein Ende setzen wird. Aber ich habe ja Gott immer angefleht, mich in dem Alter, in dem ich jetzt stehe, sterben zu lassen, damit ich den Verfall meiner Schönheit nicht zu überleben brauche.«
Nach dieser Rede sah die großmütige edle Frau noch deutlicher, wie über alles der Mann sie liebte; denn jetzt empfing sie das größte Opfer der Liebe, das je auf dieser Erde gebracht wurde. Sie allein wußte, was ihre außerordentlichen Liebkosungen ihrem Manne bedeuteten und daß zu andrer Zeit der arme Isle-Adam lieber gestorben wäre, als auf die verzuckerten Leckerbissen der Liebe, die sie für ihn bereithielt, zu verzichten. Bei ihrem Geständnis aber, daß in einer Verzückung der Liebe einmal ihr Herz brechen werde, fiel ihr der Edelmann zu Füßen und gelobte ihr, er wolle, um ihr Leben zu erhalten, niemals wieder Liebe von ihr verlangen; er wolle sich glücklich preisen, sie an seiner Seite zu haben, ihre Haare zu küssen und ihre Gewänder berühren zu dürfen. Sie aber antwortete, in Tränen ausbrechend, lieber wolle sie den Tod, als eine einzige Knospe am Rosenstrauch der Liebe von freien Stücken ungepflückt zu lassen, und vor allem wolle sie sterben, wie sie gelebt habe. Zum Glück sei ihr Macht gegeben, einen Mann zur Liebe zu zwingen, ohne daß sie ein Wort zu sagen brauche.
Nun müßt ihr wissen, daß Frau Imperia von dem genannten Kardinal von Ragusa einmal ein kostbares Geschenk erhalten, das der Teufelskerl kurzweg ›in articulo mortis‹ zu nennen pflegte. Verzeiht diese lateinischen Worte, sie stammen vom Kardinal. Dieses Geschenk war nämlich eine winzige Glashülse, in
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