Die Drenai-Saga 4 - Der Bronzefürst
warst so ruhig.«
»Weißt du, warum sie gestorben sind?« fragte Chareos.
»Sie waren nicht so gut wie du?« riet Kiall.
»Stimmt. Das waren sie nicht. Aber das ist nicht der einzige Grund. Sie starben, weil sie etwas hatten, wofür sie lebten. Iß dein Frühstück auf.«
Drei Tage zogen sie immer höher in die Berge, überquerten Flüsse und Bäche. Hoch über ihnen flogen die Schneegänse auf dem Weg zu ihren weit entfernten Brutplätzen. In den Gewässern kämpften die Biber gegen die Fluten und bauten ihre Dämme. Kialls Wunden heilten in der klaren Bergluft schnell. Er trug jetzt Logars Säbel an der Seite.
Die Gefährten hatten während ihres Aufstiegs nur wenig gesprochen, und abends am Lagerfeuer saß Chareos gedankenverloren und den Blick nach Norden gerichtet.
»Wohin gehen wir?« fragte Kiall, als sie am fünften Morgen die Pferde sattelten.
Chareos schwieg einen Moment.
»Wir
reiten zu einer Siedlung, die Wirtshausweiler heißt. Dort werden
wir
Proviant kaufen. Danach werde
ich
nach Süden über die Steppe reiten. Und ich werde allein reiten, Kiall.«
»Du willst mir nicht helfen, Ravenna zu retten?« Seit sie das Gasthaus verlassen hatten, sprach der Dorfbewohner zum erstenmal wieder von dem Überfall. Chareos straffte den Sattelgurt des Hengstes, ehe er sich umdrehte, um dem jungen Mann ins Gesicht zu sehen.
»Du weißt nicht, in welche Richtung die Räuber davon sind. Du weißt nicht, wie ihr Anführer heißt. Inzwischen werden die Frauen verkauft sein. Es ist hoffnungslos, Kiall. Gib es auf.«
»Das kann ich nicht«, erwiderte der junge Mann. »Ich liebe sie, Chareos. Ich habe sie geliebt, seit wir Kinder waren. Warst du jemals verliebt?«
»Liebe ist etwas für Narren. Sie ist nichts weiter als rauschendes Blut in den Lenden … es liegt kein Geheimnis, keine Magie darin. Such dir eine andere, Junge. Inzwischen ist sie wahrscheinlich ein halbes Dutzend Mal vergewaltigt worden, und vielleicht hat sie sogar festgestellt, daß es ihr gefällt.«
Kialls Gesicht wurde weiß, und Logars Säbel zuckte durch die Luft. Chareos sprang zurück. »Was soll das, zum Teufel?«
»Entschuldige dich! Auf der Stelle!« befahl Kiall und zielte mit der Säbelspitze auf Chareos’ Kehle.
»Wofür? Daß ich dir das Offensichtliche klargemacht habe?« Der Säbel stieß vor, doch Chareos wich der Spitze aus und zog seine eigenes Schwert. »Sei kein Narr, Junge. Du bist nicht in der Verfassung, gegen mich zu kämpfen. Und selbst wenn du es wärst, könnte ich dich in Stücke hauen.«
»Entschuldige dich«, verlangte Kiall.
»Nein«, sagte Chareos leise. Der Dorfling attackierte wild, doch Chareos parierte mühelos, und aus dem Gleichgewicht gebracht, stürzte Kiall zu Boden und ließ den Säbel fallen. Er griff danach, doch Chareos hielt die Klinge mit dem Stiefel fest. Kiall wand sich, schoß hoch und rammte den Kopf in Chareos’ Bauch, so daß beide Männer stürzten. Kialls Faust krachte gegen Chareos’ Kinn. Der ehemalige Mönch wehrte einen zweiten Hieb ab, doch ein dritter überraschte ihn, so daß er seinen Säbel verlor. Kiall packte die Klinge und sprang auf. Chareos versuchte aufzustehen, doch die Spitze seines eigenen Säbels berührte die Haut an seiner Kehle.
»Du steckst voller Überraschungen, Bursche«, bemerkte Chareos.
»Und du bist ein Hurensohn«, zischte Kiall, ließ den Säbel in den Schnee fallen und wandte sich ab. Seine Wunden hatten sich wieder geöffnet, und frisches Blut sickerte in gezackten Linien durch den Rücken seiner Tunika.
Chareos stand auf und schob den Säbel in die Scheide.
»Es tut mir leid«, sagte er. Kiall blieb stehen und ließ die Schultern hängen. »Ich meine es ehrlich. Ich bin kein Mann, der die Frauen besonders schätzt, aber ich weiß, was es heißt, verliebt zu sein. Warst du lange verheiratet?«
»Wir waren nicht verheiratet«, antwortete Kiall.
»Verlobt?«
»Nein.«
»Was dann?« fragte Chareos erstaunt.
»Sie wollte bald einen anderen Mann heiraten. Seinem Vater gehörte das ganze Weideland im Osten. Sie war eine gute Partie.«
»Aber sie liebte dich?«
»Nein«, gestand Kiall. »Nein, sie hat mich nie geliebt.« Der junge Mann schwang sich in den Sattel.
»Das verstehe ich nicht«, meinte Chareos. »Du willst dich auf die Suche machen, um eine Frau zu retten, die dich nicht liebt?«
»Sag mir ruhig noch einmal, was ich für ein Narr bin«, sagte Kiall.
»Nein, nein. Verzeih mir diese Bemerkung. Ich bin älter als du und zynisch, Kiall.
Weitere Kostenlose Bücher