Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
Druss hatte mit Sicherheit gewußt, daß ein solches Gemetzel falsch war. Die Worte Shadaks fielen ihm wieder ein:
›Der wahre Krieger lebt nach einem Ehrenkodex. Das muß er. Denn für jeden Mann gibt es unterschiedliche Perspektiven, doch im Grunde sind sie alle gleich. Mißbrauche niemals deine Frau, oder tue einem Kind etwas zuleide. Du sollst nicht lügen, betrügen oder stehlen. Das sollst du schlechteren Männern überlassen. Schütze die Schwachen vor den starken Bösen. Und lasse nie zu, daß Gewinnstreben dich dazu verleitet, Böses zu tun.‹
Die Naashaniter, die nur noch ein paar Hunderte zählten, hatten keine Chance. Dennoch fühlte Druss sich irgendwie betrogen, vor allem, wenn er – wie jetzt – an das befriedigende, triumphierende Aufbrausen des Geistes während des Kampfes im Lager von Harib Ka dachte oder an das Blutvergießen nach seinem Sprung auf das Deck der Piratentrireme. Er nahm seinen Helm ab, tauchte den Kopf in das Wasser des Brunnens; dann zog er sein Wams aus und wusch sich den Oberkörper. Aus dem linken Augenwinkel heraus nahm er eine Bewegung wahr. Ein großer, kahler Mann in einem Gewand aus grauer Wolle erschien.
»Guten Abend, mein Sohn«, sagte der Priester aus dem Tempel in Capalis. Druss nickte kurz angebunden; dann zog er sein Wams wieder an und setzte sich. Der Priester machte keine Anstalten, weiterzugehen, sondern betrachtete den Axtschwinger. »Ich habe dich seit Monaten gesucht.«
»Jetzt hast du mich gefunden«, sagte Druss gleichgültig.
»Darf ich mich kurz zu dir setzen?«
»Warum nicht?« erwiderte Druss und rückte auf der Bank zur Seite, so daß der Priester sich neben den schwarzgekleideten Krieger setzten konnte.
»Unsere letzte Begegnung hat mich beunruhigt, mein Sohn. Ich habe seitdem viele Abende mit Gebet und Meditation verbracht, und schließlich bin ich über die Pfade des Nebels gewandelt, um die Seele deiner geliebten Rowena zu suchen. Doch es erwies sich als fruchtlos. Ich bin auf Wegen durch die Leere gereist, die zu finster sind, um darüber zu sprechen. Doch Rowena war nicht dort, und ich habe auch keine Seelen gefunden, die von ihrem Tod wußten. Dann traf ich einen Geist, ein ungeheuer bösartiges Wesen, das in seinem Leben den Namen Earin Shad trug. Er war Korsarenkapitän, auch Bojeeba genannt, der Hai. Er wußte etwas von deiner Frau; denn es war sein Schiff, welches das Schiff plünderte, auf dem sie reiste. Als seine Korsaren das Schiff enterten, erzählte er mir, seien ein Kaufmann namens Kabuchek, ein weiterer Mann und eine junge Frau über Bord gesprungen. Überall waren Haie und sehr viel Blut, nachdem das Gemetzel an Bord begonnen hatte.«
»Ich will nicht wissen, wie sie starb!« fauchte Druss.
»Ja, aber das ist der Punkt«, sagte der Priester. »Earin Shad glaubt, daß sie und Kabuchek ums Leben kamen. Aber das stimmt nicht.«
»Was?«
»Kabuchek ist in Resha und mehrt sein Vermögen. Er hat eine Seherin bei sich, die sie Pahtai nennen, Täubchen. Ich habe sie im Geiste gesehen. Ich las ihre Gedanken. Es ist Rowena, deine Rowena.«
»Sie lebt?«
»Ja«, sagte der Priester leise.
»Gütiger Himmel!« Druss lachte und schlang dem Priester die Arme um die mageren Schultern. »Bei den Göttern, du hast mir einen großen Dienst erwiesen! Das werde ich dir nicht vergessen. Wenn du je etwas von mir brauchst, mußt du nur fragen.«
»Danke, mein Sohn. Ich wünsche dir viel Glück bei deiner Suche. Aber über eine Sache müssen wir noch reden: deine Axt.«
»Was ist damit?« fragte Druss, plötzlich mißtrauisch. Seine Hände schlossen sich um den Griff.
»Es ist eine uralte Waffe, und ich glaube, daß Zauber in ihre Klingen gebettet sind. In ferner Vergangenheit hat jemand mit großer Macht Zauberei benutzt, um die Wirkung der Waffe zu verstärken.«
»Und?«
»Es gab viele Methoden. Manchmal bestand der Zauber nur darin, daß das Blut des Waffenschmiedes auf die Klingen gespritzt wurde. Zu anderen Zeiten wurde ein bindender Zauber benutzt. Dieser diente dazu, die Klingen scharf zu halten und ihnen eine größere Durchschlagskraft zu verleihen. Kleine Zauber, Druss. Gelegentlich brachte ein Meister der okkulten Künste seine Fertigkeiten in eine Waffe ein, die dann meist einem König oder Grafen gehörte. Manche Klingen konnten Wunden heilen, andere konnten selbst die besten Rüstungen durchschlagen.«
»Wie Snaga es kann«, sagte Druss und wog die Axt in Händen. Die Klingen glitzerten im Mondlicht, und der Priester wich
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